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Die Kandidatin des Rassemblement National, die in der ersten Runde hinter Emmanuel Macron den zweiten Platz belegte, ist der Meinung, sie könne am 24. April gewinnen. Für die Tochter von Jean-Marie Le Pen ist dies der Höhepunkt einer langen Periode der Entdämonisierung, die in den letzten Monaten durch den Rechtsextremen Eric Zemmour erleichtert wurde.

Bereits Tage vor dem ersten Wahlgang wollten die Anhänger der rechtspopulistischen Kandidatin des Rassemblement National ihren Optimismus nicht mehr verbergen. Denn Le Pen schoss in den Umfragen in die Höhe und drohte sogar, Emmanuel Macron im ersten Wahlgang zu überholen.

Letztendlich gewann der amtierende Präsident am Sonntag, 10. April, mit 27,60 % der Stimmen. Dies geht aus den fast endgültigen Ergebnissen des Innenministeriums hervor, die auf der Auszählung von 97% der abgegebenen Stimmen basieren. Marine Le Pen erhielt 23,41% der Stimmen und schaffte es damit wie schon 2017 in die zweite Runde.

„Wir sind sehr gelassen, viel gelassener als 2017“, äusserte sich Jordan Bardella, Vorsitzender des Rassemblement National. „Ich bin überzeugt, dass sie die nächste Präsidentin der Republik sein wird.“ Im Lager von Marine Le Pen scheut man sich nicht mehr, vom Sieg in zwei Wochen zu träumen. „Am 24. April wird es eine grundlegende Wahl zwischen zwei entgegengesetzten Visionen für das Land sein: entweder Spaltung und Unordnung oder die Geschlossenheit der Franzosen“, reagierte die ultrarechte Kandidatin vor ihren Anhängern nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der ersten Runde.

Seit einigen Wochen ist der erste Wahlgang für das Umfeld der rechtsextremen Kandidatin kein wirkliches Thema mehr, man konzentriert sich voll auf den 24. April. Mit den Erfahrungen des Jahres 2017 im Gepäck, geht Marine Le Pen wesentlich besser vorbereitet in die zweite Phase des Wahlkampfs und die anstehende Fernseh-Debatte der beiden Kandidaten.

Das Debakel der zweiten Runde im Jahr 2017, die mit 34% der Stimmen gegenüber 66% für Emmanuel Macron verloren ging, erschütterte das Rassemblement National. Bevor die Tochter von Jean-Marie Le Pen nach der Niederlage in 2017 wieder in den Kampf zog, hat sie das Aussehen ihrer Partei verändert. Man wollte sich von Jean-Marie Le Pens Front National alter Prägung lösen, um das radikale Image , das diese Partei vermittelte zu überwinden. Der Front National wird 2018 zum Rassemblement National und der erst 23-jährige Jordan Bardella wird Spitzenkandidat für die Europawahlen 2019.

Bei ihrem dritten Versuch bei den Präsidentschaftswahlen ändert Marine Le Pen auch ihre Methode. In einem von der „Gelbwesten“-Krise geprägten Frankreich beschliesst Marine Le Pen im Jahr 2021 ihren Wahlkampf so nah wie möglich an der Basis zu beginnen. Erst auf leisen Sohlen, fast unter dem Radar der Medien, die durch das Auftauchen von Eric Zemmour in Aufruhr geraten sind. Im Januar 2022 wurde eine Wahlkampf-Operation („5.000 Märkte“) gestartet, bei der zwanzig Busse kreuz und quer durch Frankreich fuhren und auf lokalen Märkten für Marine Le Pen warben.

Und dann kam der russische Überfall auf die Ukraine. Wie wird Marine Le Pen, die die Politik von Wladimir Putin in der Vergangenheit so sehr gelobt hat, nun bestehen können? Ihre Strategie ist die des Rückzugs von Russland und Putin, wobei sie sich gleichzeitig für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzt. Im Gegensatz zu 2017 distanziert sich Marine Le Pen vom russischen Präsidenten, mit dem sie, wie sie sagt, „keine freundschaftlichen Bande“ verbinden.

Das ist nicht die einzige Veränderung: Um ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen, setzt Marine Le Pen alles auf die Kaufkraft und überlässt Eric Zemmour sogar die Führung in der Diskussion um Einwanderung und nationale Identität. Aber hinter den Forderungen nach Senkung der Mehrwertsteuer auf 5,5% für Energie oder der Befreiung von der Einkommenssteuer für „alle jungen Menschen bis 30 Jahre“ unterscheidet sich ihr Programm nicht wesentlich gegenüber den vorherigen Jahren. Die ehemalige Anwältin Le Pen verteidigt immer noch die „nationale Priorität“ und will beispielsweise „den Franzosen ihr Land zurückgeben“.

„Abgesehen von der Aufpolierung bleibt es ein rechtsextremes Programm“. (Raphaël Llorca, assoziierter Experte der Jean-Jaurès-Stiftung gegenüber Franceinfo)

Die grosse Frage, die sich Macron nun stellen muss, ist, ob das veränderte Wahlprogramm Le Pens mit seinen moderneren und sozialen Komponenten einen Teil der Linken im Vorfeld des zweiten Wahlgangs auf ihre Seite ziehen kann. Viele linke Wähler sehen sich als Gegner Emmanuel Macrons und werden kaum dazu bereit sein, dem ungeliebten Präsidenten, dem sie zu viel Nähe zum Grosskapital vorwerfen, in der zweiten Runde die Haut zu retten. Um so wichtiger ist es für Macron jetzt, die grosse menge der Unentschlossenen, die sich bisher der Wahl enthalten haben, bis zum 24. April für sich zu motivieren.

Am Sonntag, 10. April, rief Marine Le Pen „alle, die nicht für Emmanuel Macron gestimmt haben“, dazu auf, sich ihr „anzuschließen“.  Emmanuel Macron ist gewarnt.


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