Tag & Nacht




2024 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Zum ersten Mal überhaupt lag die globale Durchschnittstemperatur über 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit – ein Schwellenwert, der einst als absolute Grenze galt, die wir nicht überschreiten dürften. Und als ob das nicht schon genug wäre, kletterte auch der Energieverbrauch der Welt steil nach oben – fast doppelt so stark wie im Durchschnitt der letzten zehn Jahre.

Zufall? Mitnichten. Die extreme Hitze trieb den Energiebedarf direkt in die Höhe. Denn je wärmer es draußen wurde, desto mehr Menschen schalteten ihre Klimaanlagen ein – ob zu Hause, im Büro oder in Einkaufszentren. Die Folge: eine regelrechte Stromsogwirkung, die vielerorts nur durch das Verfeuern fossiler Brennstoffe gestillt werden konnte. Kohle und Gas kamen zum Einsatz, um die Netze zu stabilisieren und die Kühlung aufrechtzuerhalten.

Und genau hier liegt das Problem: Wir produzieren durch die Klimakrise immer mehr Hitze – und kämpfen gegen sie mit Methoden, die noch mehr Emissionen verursachen. Eine Spirale, aus der wir dringend ausbrechen müssen.


Wenn Sommer zur Energiekatastrophe wird

Ein Bericht der Internationalen Energieagentur zeigt, dass Hitzewellen in Ländern wie Indien, China und den USA eine enorme Rolle beim Anstieg des Stromverbrauchs gespielt haben. In Neu-Delhi wurden im Frühjahr 52 Grad Celsius gemessen – eine Temperatur, bei der selbst gesunde Menschen an ihre Grenzen stoßen. Der Energiebedarf stieg insbesondere zur Mittagszeit rasant an – genau dann, wenn Solaranlagen eigentlich gute Dienste leisten könnten, wenn sie denn ausreichend verfügbar wären.

Insgesamt gingen rund 20 Prozent des zusätzlichen Strom- und Erdgasverbrauchs im Jahr 2024 auf das Konto der extremen Temperaturen. Doch die Hitze traf nicht nur Haushalte – auch Rechenzentren, deren Kapazität besonders in China und den USA kräftig wuchs, verschlangen große Mengen an Energie.

Was bedeutet das für unsere Zukunft? Können wir uns weiterhin auf fossile Energie verlassen, wenn die Sommer immer extremer werden?


Kohle – zurück aus der Versenkung

Obwohl die Welt sich seit Jahren bemüht, von Kohle wegzukommen, stieg deren Verbrauch 2024 erneut – und das allein wegen der Hitze. Kohlekraftwerke sprangen in vielen Regionen als „Rettungsanker“ ein, wenn Wind- und Solarenergie nicht schnell genug liefern konnten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet zwar voran, doch er hinkt immer noch dem globalen Ziel hinterher, die Kapazität bis 2030 zu verdreifachen.

Besonders deutlich zeigt sich das in China, das nach wie vor mehr Kohle verbrennt als der gesamte Rest der Welt zusammen. Ein befremdliches Bild in einer Zeit, in der grüne Energie eigentlich den Ton angeben sollte. Doch solange kurzfristige Lösungen gebraucht werden, greift man auf alte Rezepte zurück – auch wenn diese der Luft den Atem rauben.


Ein Energiemarkt im Ausnahmezustand

Der globale Energiebedarf stieg 2024 um über zwei Prozent – ein Wert, der doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt der letzten Dekade. Besonders Schwellenländer wie Indien und China sorgten für diesen Anstieg. Aber auch in Europa, wo der Verbrauch seit Jahren eher stagnierte, gab es eine deutliche Belebung.

Spannend ist: Alle Energiequellen legten zu – Öl, Gas, Kohle, erneuerbare Energien und auch die Kernkraft. Klingt nach Wachstum, aber es bedeutet auch: mehr Emissionen. 2024 erreichten die durch Energie verursachten CO₂-Emissionen erneut einen Rekordwert.

Klar ist: Selbst wenn die CO₂-Emissionen in den kommenden Jahren leicht zurückgehen sollten – was viele Staaten versprechen –, reicht das bei Weitem nicht aus. Um das Ziel des Pariser Klimaabkommens von maximal 1,5 Grad Erderwärmung zu halten, müssten die globalen Emissionen bis 2030 um satte 43 Prozent sinken.

Realistisch? Viele Wissenschaftler halten das inzwischen für kaum noch machbar.


Lichtblicke – aber noch zu schwach

Doch es gibt auch gute Nachrichten – immerhin. Rund 80 Prozent der neu installierten Stromerzeugungskapazitäten kamen 2024 aus erneuerbaren Energien oder Kernkraftwerken. Besonders Solaranlagen boomen, und in den USA haben Solar- und Windenergie erstmals die Kohle bei der Stromerzeugung überholt.

Auch andere saubere Technologien wie Wärmepumpen, Elektroautos und moderne Speicherlösungen tragen dazu bei, dass die Emissionen langsamer wachsen als die Wirtschaft. Ein Hoffnungsschimmer: Zum ersten Mal wächst die Weltwirtschaft schneller als die CO₂-Emissionen. Das nennt man „Entkopplung“ – und es ist der einzige Weg in eine klimafreundliche Zukunft.

Aber mal ehrlich: Reicht das wirklich, wenn wir gleichzeitig neue Kohlekraftwerke bauen und bestehende fördern?


Öl – der langsame Abschied

Ein kleiner, aber symbolträchtiger Meilenstein: 2024 fiel der Anteil von Öl am globalen Energieverbrauch erstmals unter 30 Prozent. Der Rückgang hat mehrere Gründe. Viele Menschen steigen auf Elektroautos um, und in der Industrie wird zunehmend auf alternative Prozesse gesetzt.

Aber der Ölverbrauch ist nicht verschwunden – ganz im Gegenteil. Das Wachstum konzentriert sich nun auf zwei Bereiche: Luftfahrt und Schifffahrt sowie auf die Kunststoffproduktion. Plastik ist ein immer wichtigeres Standbein für Ölkonzerne geworden, da der Verkehrssektor langsam weniger Öl verbraucht.

Das wirft neue Fragen auf – etwa: Lösen wir ein Problem, indem wir ein anderes schaffen?


Energiepolitik am Scheideweg

In den USA zeichnet sich ein politischer Richtungswechsel ab, der die Klimaziele der Biden-Administration ins Wanken bringen könnte. Unter der Trump-Regierung wird angestrebt, den Fokus der Umweltbehörde (EPA) weg vom Umweltschutz hin zur Senkung wirtschaftlicher Kosten zu lenken.

Eine neue interne Richtlinie besagt: Keine Schließung von Anlagen mehr – es sei denn, eine akute Gesundheitsgefahr besteht. Besonders problematisch: Maßnahmen zum Schutz benachteiligter Gemeinschaften, die häufig überdurchschnittlich unter Umweltverschmutzung leiden, werden massiv zurückgefahren.

Das zeigt: Die Energiewende ist nicht nur eine technische, sondern auch eine soziale und politische Herausforderung. Wer denkt, es ginge hier nur um CO₂ und Grad Celsius, verkennt das große Ganze.


Was jetzt?

Die Welt brennt – und trotzdem fließen Milliarden in die alten Strukturen. Die technologische Entwicklung könnte vieles ermöglichen: Smart Grids, grüne Wasserstoffwirtschaft, effizientere Speicher, CO₂-Entnahme aus der Luft. Doch was nützen die besten Technologien, wenn es am politischen Willen fehlt?

Gleichzeitig zeigt der Bericht auch: Veränderung ist möglich. Die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionen beweist, dass wir nicht zwangsläufig wählen müssen zwischen Wohlstand und Klimaschutz.

Also: Wollen wir weitermachen wie bisher – oder endlich aus dem Teufelskreis ausbrechen?

Von Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!