Tag & Nacht

Im Jahr 2024 verzeichnete Marseille einen deutlichen Rückgang der durch Drogenhandel verursachten Morde: Die Zahl der Todesopfer sank von 49 im Jahr 2023 auf 24, was einer Reduzierung um 60 % entspricht. Doch trotz dieses Rückgangs bleibt der Kampf gegen den Drogenhandel eine komplexe Herausforderung, die sich ständig weiterentwickelt.

Ein blutiger Konflikt endet

Die Verringerung der Mordfälle ist teilweise auf das Ende eines brutalen Machtkampfes zwischen zwei großen Drogenclans, der „DZ Mafia“ und dem „Yoda“-Clan, zurückzuführen. Die DZ Mafia hat die Oberhand gewonnen – eine Entscheidung des Krieges, die die Gewaltspirale vorerst zum Stillstand gebracht hat.

Doch der Erfolg im Schattenreich des Drogenhandels ist nicht der einzige Grund für den Rückgang. Die französischen Behörden haben erheblich in die Bekämpfung des Narcobanditismus investiert. Nicolas Bessone, der Staatsanwalt von Marseille, erklärte, dass verstärkte Polizeiarbeit und Ermittlungen eine Reihe geplanter Vergeltungsaktionen vereitelt hätten.

Ein weiterer Schlüssel war die Konzentration krimineller Akteure in den Hochsicherheitsabteilungen der Justizvollzugsanstalt „Les Baumettes“, was die Kontrolle über kriminelle Netzwerke erschwerte. „Das hat die Dynamik der Morde spürbar gebremst“, so Bessone.

Weniger sichtbarer Drogenhandel, aber kein Grund zur Entwarnung

Die Zahl der aktiven Drogenverkaufspunkte in Marseille hat sich in den letzten drei Jahren halbiert und liegt aktuell bei 84. Dies ist ein direkter Erfolg der von Präsident Macron im März 2024 eingeführten „Place nette XXL“-Kampagne. Die Strategie, diese Hotspots durch gezielte Polizeiaktionen zu „ersticken“, zeigt Wirkung – zumindest auf den ersten Blick.

Doch das Problem hat sich verlagert: Der Handel findet zunehmend verdeckt statt, etwa über Lieferdienste, die in Anlehnung an Essenslieferdienste „Ubershit“ genannt werden. Allein 2024 wurden in Marseille 180 Fahrer verhaftet, die Drogen transportierten.

Die Bilanz der Behörden bleibt beeindruckend: Mehr als 2.000 Personen wurden wegen Drogendelikten angeklagt, davon 200 wegen Mordes oder Mordaufträgen im Zusammenhang mit dem Drogenhandel.

Frauen und Minderjährige: Neue Profile im Drogenhandel

Ein besorgniserregender Trend ist die zunehmende Beteiligung von Frauen und Minderjährigen am Drogenhandel. Frauen, die früher oft nur als sogenannte „Nourrices“ – Lagerhalterinnen für Drogen und Waffen – eingesetzt wurden, übernehmen nun Führungsrollen. Sie organisieren Logistik und Verwaltung innerhalb der Netzwerke.

Noch schockierender ist die wachsende Rolle von Minderjährigen. Mehr als 500 Jugendliche wurden 2024 in Marseille wegen Drogendelikten angeklagt. Staatsanwalt Bessone spricht von einem regelrechten „Narcotourismus“: Jugendliche aus ganz Frankreich werden von der Aussicht auf schnelles Geld angelockt. Doch der vermeintliche Traum von Reichtum endet oft in einem Albtraum aus Schulden, Missbrauch und Gewalt.

Für viele dieser jungen Menschen gibt es keinen Ausweg mehr: Sie werden Opfer von fiktiven Schulden, die zu Folter und Zwangsarbeit führen. Manche werden sogar als Mörder rekrutiert – ein bedrückender Höhepunkt dieser Entwicklung.

Tragödien mit erschütternden Folgen

Die Gewalt fordert nicht nur innerhalb der kriminellen Netzwerke Opfer, sondern reißt auch unschuldige Menschen aus dem Leben. Ein 15-jähriger wird demnächst in Marseille vor Gericht gestellt, weil er für den Tod der jungen Studentin Socayna verantwortlich sein soll, die von einer verirrten Kugel aus einer Kalaschnikow getroffen wurde, während sie in ihrem Zimmer war.

In einem weiteren Fall wurde ein 14-jähriger Fahrer eines VTC-Dienstes kaltblütig erschossen. Solche Vorfälle verdeutlichen, wie sehr die Spirale der Gewalt bereits in jüngste Altersgruppen vorgedrungen ist.

Ein zwiespältiger Fortschritt

Auch wenn die Zahl der Morde im Zusammenhang mit dem Drogenhandel zurückgegangen ist, bleibt die Problematik des Narcobanditismus akut. Marseille hat Fortschritte gemacht, aber der Handel passt sich ständig an – von offensichtlichen Straßendeals hin zu Lieferdiensten und digital organisierten Netzwerken.

Es ist klar, dass die Behörden weiterhin eine immense Herausforderung bewältigen müssen: Die Wurzeln der Problematik liegen tief in sozialen und wirtschaftlichen Strukturen, die sich nicht allein durch Polizeiaktionen lösen lassen.

Ein kurzfristiger Sieg ist also kein Grund zum Ausruhen. Marseille bleibt ein Ort, an dem die Spannung zwischen Hoffnung und Herausforderung greifbar ist – ein Spiegelbild der Ambivalenz im Kampf gegen den Drogenhandel.


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