Die russische Regierung setzt immense finanzielle Anreize, um neue Soldaten für den Krieg in der Ukraine zu gewinnen – eine Strategie, die auf erschreckende Weise funktioniert. Sechs- bis siebenmal mehr als das durchschnittliche Einkommen wird geboten, und die Versprechen sind verlockend. Doch was steckt hinter dieser massiven Rekrutierungskampagne, und welche Folgen hat sie für die russische Gesellschaft?
Ein „tödlicher“ Lohn
In Moskau prangen die Rekrutierungsplakate mit ihren Versprechungen überall: Auf großen Werbetafeln, an Ladentüren und in U-Bahn-Stationen. 5,2 Millionen Rubel – etwa 52.000 Euro – verspricht der Staat jedem Freiwilligen für das erste Jahr an der Front. Das ist sechsmal so viel wie das durchschnittliche Jahreseinkommen in der russischen Hauptstadt und noch mehr für Menschen aus den ärmeren Regionen des Landes.
Die russische Regierung setzt dabei auf eine Mischung aus finanziellem Anreiz und nationaler Propaganda. Ein Fernsehspot stellt „wahre“ russische Männlichkeit dar – im Vergleich zu einem karikierten Bild verweichlichter westlicher Männer. Diese simplen Botschaften durchziehen das öffentliche Leben, während gleichzeitig die Summen, die für den Dienst an der Front geboten werden, ins Astronomische steigen.
Die Wirtschaft des Krieges
Der Kreml behauptet, dass jeden Tag über 1.000 Männer für den Dienst an der Front unterschreiben. Ob diese Zahlen stimmen, ist schwer zu überprüfen, aber eines ist klar: Die russische Armee scheint trotz der Verluste in der Ukraine weiterhin über genügend Soldaten zu verfügen. Doch die hohen Rekrutierungsprämien und Gehälter lassen vermuten, dass es zunehmend schwieriger wird, neue Kämpfer zu finden.
Für viele Freiwillige spielt das Geld eine große Rolle – auch wenn sie es nicht immer offen zugeben. Ein Beispiel ist Vladimir, ein 45-jähriger Vater, der seine Motivation nicht im Geld, sondern in der Liebe zur Heimat sieht. Er verdient als Klempner bereits 200.000 Rubel im Monat, doch durch den Einsatz in der Ukraine wird sich sein Einkommen mehr als verdoppeln. Zudem werden ihm die Steuern erlassen, die Ausbildung seines Sohnes finanziert, die medizinische Versorgung seiner Eltern gewährleistet und ein Job nach seiner Rückkehr garantiert.
Nie zuvor in der russischen Geschichte haben Soldaten so gut verdient. Für viele, insbesondere aus den ärmeren Regionen, sind diese Summen eine lebensverändernde Chance. In den entlegenen Gegenden an der Grenze zur Mongolei kämpft die Bevölkerung täglich darum, ihren Alltag finanzieren zu können – für viele ist die Rekrutierungsprämie von einer Million Rubel eine Summe, die sie unter normalen Umständen nie erreichen würden. Alexandra Garmazhapova, Aktivistin und Vorsitzende der Bewegung „Free Buryatia“, beschreibt die harte Realität: „Ein Lastwagen voller Brennholz kostet 30.000 Rubel – eine riesige Summe für die Menschen in Buriatien, die teilweise Kredite aufnehmen müssen, um ihre Häuser im Winter zu heizen.“
Eine düstere Rechnung
Doch was passiert, wenn die Soldaten an der Front sterben? Auch hier zeigt sich die Brutalität des Systems. Die Familien erhalten im Todesfall bis zu 12 Millionen Rubel (ca. 120.000 Euro). Diese Summe, so erklärt der russische Exil-Ökonom Vladislav Inozemtsev, ist in vielen Regionen Russlands höher, als ein Mann in einem ganzen Leben verdienen könnte.
„Wenn man die moralischen Aspekte beiseitelässt“, so Inozemtsev, „ist es wirtschaftlich gesehen rentabler, für ein Jahr an die Front zu gehen und getötet zu werden, als jahrzehntelang ehrlich zu arbeiten.“ Diese Aussage zeigt die makabre Realität einer Gesellschaft, in der der Tod im Krieg finanziell lukrativer ist als ein Leben in Frieden.
Die Kosten für Russland – wirtschaftlich und moralisch
Die russische Regierung scheint in der Lage zu sein, diese hohen Summen für mehrere Jahre zu zahlen, aber es stellt sich die Frage, wie lange dieses System aufrechterhalten werden kann. Viele Ökonomen glauben allerdings, dass Russland auch weiterhin in der Lage sein wird, seine Soldaten so hoch zu bezahlen und so den Krieg in der Ukraine zu finanzieren, ohne eine erneute landesweite Mobilisierung wie im September 2022 starten zu müssen. Damals hatten Hunderttausende von Männern das Land verlassen, um dem Kriegsdienst zu entkommen.
Doch selbst wenn diese Zahlungen die Soldaten für den Krieg noch einige Zeit finanzieren, bleibt der moralische Preis hoch. Die Propaganda, die die Rekrutierung stützt, setzt auf einfache und oft beleidigende Stereotypen, um patriotische Gefühle zu wecken. Gleichzeitig wird den Menschen, insbesondere in den ärmeren Regionen, signalisiert, dass ihr Leben weniger wert ist als das Geld, das ihre Familien im Todesfall erhalten.
Eine Gesellschaft im Krieg
Das russische Rekrutierungssystem zeigt auf erschreckende Weise, wie weit eine Regierung gehen kann, um einen Krieg zu finanzieren und ihre Bevölkerung zu mobilisieren. Die enormen Geldsummen, die den Soldaten angeboten werden, sprechen Bände über die wachsende Anstrengung des Kremls, die Schlagkraft seiner Armee aufrechtzuerhalten.
Doch während viele Männer sich für das Geld entscheiden, das ihnen ein Jahr an der Front bietet, bleibt die Frage, wie lange Russland diesen Weg beschreiten kann – und welchen langfristigen Schaden er in der Gesellschaft hinterlassen wird. Das Geld mag reichen, aber der moralische Preis könnte auf Dauer zu hoch sein.
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!