Tag & Nacht

Ein unerwarteter Pfiff, ein unangebrachter Kommentar oder sogar eine bedrohliche Annäherung – viele Frauen kennen diese unangenehmen Situationen auf offener Straße. In Montpellier und anderen französischen Städten setzt ein neues Konzept genau hier an: Geschäfte als Zufluchtsorte für Betroffene von Straßenbelästigung. Mit einem einfachen Codewort können sich Frauen in diese sicheren Räume flüchten. Doch wie funktioniert das genau?

Hinter der Kampagne „Angela“ steckt Solidarität

Drei von vier Frauen geben an, regelmäßig Opfer von Belästigungen auf der Straße zu werden. Eine alarmierende Zahl. Das Programm „Angela“ soll das ändern – mit Hilfe von lokalen Geschäften, die als sichere Anlaufstellen fungieren.

In Montpellier, Brest, Nîmes und Nice kleben mittlerweile Aufkleber mit dem Namen „Angela“ an den Fenstern teilnehmender Läden. Diese Signale bedeuten: Wer sich verfolgt oder bedrängt fühlt, kann hier Schutz suchen. Ein einfacher Satz reicht – „Ist Angela hier?“ – und die Mitarbeiter wissen sofort, dass Hilfe benötigt wird.

Zwischen Alltagskommentar und Übergriff: Die Unsichtbarkeit des Problems

Straßenbelästigung wird oft verharmlost. „Das sind doch nur Komplimente“ oder „Nimm es als Schmeichelei“ – solche Aussagen hört man immer wieder. Doch für die Betroffenen ist es kein harmloser Flirt, sondern eine ständige Belastung.

„Wenn du jeden Tag hinterhergerufen bekommst, ist das nicht mehr witzig – es ist einfach nur noch anstrengend“, erzählt eine junge Frau aus Montpellier. Und sie ist bei Weitem nicht die Einzige mit dieser Erfahrung.

Mehr als ein Aufkleber: Schulungen für den Ernstfall

Die teilnehmenden Geschäfte sind mehr als bloße Zufluchtsorte – sie sind vorbereitet. Denn einfach nur die Tür zu öffnen reicht nicht aus. Wer ein „Angela“-Geschäft werden will, muss eine Schulung absolvieren.

Die Mitarbeiter lernen, wie sie in schwierigen Situationen reagieren: zuhören, deeskalieren und – falls nötig – die Polizei rufen. In einem Fall suchte eine Frau mitten in der Nacht Zuflucht in einer Bar, die zum Angela-Netzwerk gehört. Doch es ging nicht um Straßenbelästigung, sondern um häusliche Gewalt. Die geschulte Bedienung erkannte den Ernst der Lage, sprach mit der Frau und half ihr, weitere Schritte zu unternehmen.

Warum ein Codewort?

Vielleicht fragt man sich: Warum nicht einfach direkt um Hilfe bitten? Die Antwort ist simpel – Angst und Unsicherheit.

Wenn eine Frau verfolgt wird, will sie oft nicht riskieren, die Situation weiter eskalieren zu lassen. Ein Codewort wie „Angela“ ermöglicht es, Hilfe diskret zu erbitten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. So kann sie sichergehen, dass sie ernst genommen wird, ohne den Täter auf sich aufmerksam zu machen.

Solidarität statt Wegsehen

Das Konzept zeigt: Schutz vor Belästigung ist nicht nur eine Aufgabe der Polizei oder der Politik – die Gesellschaft kann aktiv mithelfen. Die Initiative Angela ist ein Beispiel dafür, wie Städte, Gewerbetreibende und Bürger gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Könnte dieses Modell auch in anderen Ländern Schule machen? In Großbritannien existiert ein ähnliches Konzept bereits seit Jahren, dort unter dem Namen „Ask for Angela“. Frankreich zieht jetzt nach – und vielleicht bald auch andere Staaten.

Sicher auf der Straße unterwegs zu sein, sollte kein Privileg sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und jede Maßnahme, die dazu beiträgt, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Von C. Hatty


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