Am Sonntagvormittag des 6. April 2025 zitterte der Boden im Stadtteil Pissevin – aber nur für ein paar Sekunden. Punkt 11 Uhr fiel der Vorhang für zwei markante Hochhäuser, die einst als Studentenwohnheime dienten. Die Matisse-Türme, seit Sommer 2022 unbewohnt, wurden durch eine gezielte Sprengung – eine sogenannte „Foudroyage“ – in sich zusammengesackt. Ein ohrenbetäubendes Donnern, eine gigantische Staubwolke – und dann: Stille.
Doch hinter diesem dramatischen Moment steckt weit mehr als ein spektakuläres Abrissspektakel.
Ein neues Kapitel für Pissevin
Die Zerstörung der Türme markiert einen Meilenstein in einem umfassenden Stadterneuerungsprojekt, das seit 2017 Schritt für Schritt das Gesicht von Pissevin verändert. Insgesamt 470 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung – bereitgestellt vom französischen Staat, der Nationalen Agentur für Stadterneuerung (ANRU), der Stadt Nîmes, Nîmes Métropole sowie mehreren Wohnungsbaugesellschaften.
Ein gewaltiger Kraftakt, mit einem klaren Ziel: Das Viertel soll nicht nur baulich aufgewertet, sondern auch lebenswerter für seine Bewohner gemacht werden. Das bedeutet: Renovierung bestehender Wohnungen, Neubauten, attraktivere öffentliche Räume und bessere Dienstleistungen vor Ort.
Mehr als nur Beton
Ein ganz wichtiger Baustein dieser Transformation: die Sanierung problematischer Eigentumswohnungen. 2022 wurde dafür die landesweit bedeutende Initiative ORCOD-IN ins Leben gerufen. Sie konzentriert sich auf zwölf Wohnkomplexe mit über 1.600 Einheiten – viele davon in katastrophalem Zustand. Der öffentliche Landfonds Okzitaniens übernimmt hier das Ruder, um vernachlässigten Wohnraum wieder bewohnbar zu machen oder – wenn nötig – abzureißen.
Und genau hier kommen die Matisse-Türme ins Spiel.
Die beiden Hochhäuser waren über die Jahre zu stummen Zeugen des Verfalls geworden. Marode Bausubstanz, nicht mehr zeitgemäß, schwer vermittelbar – kein Wunder, dass sie 2022 geräumt wurden. Der Abriss war also nicht nur pragmatisch, sondern notwendig. Dass er mittels Foudroyage erfolgte, hat seinen Grund: Diese Technik erlaubt einen schnellen, sicheren und vergleichsweise umweltschonenden Rückbau.
Symbolischer Neuanfang – mit Fragezeichen
Doch dieser Moment war mehr als nur ein technisches Manöver. Der Fall der Türme steht symbolisch für den Wandel, der hier im Gange ist – für einen Neuanfang. Und für viele auch für die Hoffnung, dass sich endlich etwas tut in einem Viertel, das lange als Problemzone galt.
Aber genau hier liegt auch die Krux.
Denn wie wird sich das Viertel verändern? Wer wird in den neuen Wohnungen leben? Bleiben die jetzigen Bewohner oder müssen sie weichen? Wird das alte Pissevin Platz machen für ein durchgestyltes, aber seelenloses Wohnquartier?
Fragen wie diese treiben nicht nur die Anwohner um, sondern auch die Stadtverwaltung. Die Herausforderung besteht darin, soziale Gerechtigkeit mit städtebaulicher Erneuerung in Einklang zu bringen. Ein Drahtseilakt – aber keiner, dem man aus dem Weg gehen kann.
Perspektiven und Hoffnungen
Für viele ist der Abriss der Matisse-Türme ein Akt der Befreiung. Endlich verschwindet ein Mahnmal des sozialen Abstiegs – und macht Platz für Neues. Doch gerade die ältere Generation erinnert sich auch an bessere Zeiten, als das Viertel noch jung war, lebendig und bunt. Die Hoffnung ist groß, dass dieser Geist in einer neuen Form zurückkehren kann.
Ein bisschen Herzblut, ein bisschen Heimat – das lässt sich nicht einfach neu bauen. Aber es lässt sich bewahren. Wenn man die richtigen Entscheidungen trifft.
Und vielleicht, ganz vielleicht, wird Pissevin eines Tages ein Vorbild sein. Ein Viertel, das aus der Asche aufgestanden ist – und nicht nur schöner, sondern auch gerechter geworden ist.
Von C. Hatty
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