Politisches Pokerspiel in der EU: Frankreich tauscht seinen Kandidaten für die EU-Kommission überraschend aus. Thierry Breton, der ursprünglich von Emmanuel Macron für die Verlängerung seines Amtes als französischer Kommissar nominiert wurde, wird kurzfristig durch Stéphane Séjourné ersetzt. Was steckt hinter diesem unerwarteten Wechsel?
Macrons riskante Wette
Ende Juli nominierte Macron den bisherigen EU-Kommissar Thierry Breton offiziell bei Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, als französischen Kommissar auch für die kommenden fünf Jahre. Eine Entscheidung, die bereits damals als riskant galt – insbesondere aufgrund der angespannten Beziehung zwischen Breton und von der Leyen. Ein Europarlamentarier aus dem Macron-Lager erklärt im Nachhinein: „Es war riskant, erneut Breton vorzuschlagen. Jeder wusste, dass das Verhältnis zwischen ihm und von der Leyen schlecht war.“ Ein Beispiel hierfür war ein Beitrag von Thierry Breton im März auf X (ehemals Twitter), als er von der Leyen öffentlich infrage stellte. Damals wurde sie zur Kandidatin der konservativen EVP-Fraktion gewählt, erhielt jedoch nicht die volle Unterstützung. Breton kommentierte damals: „Von der Leyen wird von ihrer eigenen Partei nicht unterstützt – nicht einmal die Rechte scheint an ihre Kandidatin zu glauben.“
Von der Leyens Widerstand und Macrons Taktik
Trotz dieser Spannungen hielt Macron an Breton fest, und versuchte gleichzeitig, das Gewicht des französischen Kommissariats in der EU-Kommission zu erhöhen. Der Plan: Frankreich sollte nicht nur ein normales Kommissariat, sondern eine Vizepräsidentschaft erhalten. Den ganzen Sommer über gab es Verhandlungen zwischen Macron und von der Leyen. Die Personalie Breton war jedoch immer ein Hindernis.
Am Montag, dem 16. September, änderte sich die Lage plötzlich: In einem offenen Brief an von der Leyen machte Breton deutlich, dass die EU-Kommissionspräsidentin persönlich Frankreich aufgefordert hatte, seinen Namen zurückzuziehen. Die Bedingung von der Leyens für eine französische Vizepräsidentschaft war klar: Kein Thierry Breton. Und so entschied Macron gegen Breton – das Amt war wohl wichtiger als der Kandidat.
Stéphane Séjourné: Ein Vertrauensmann für Macron und von der Leyen
Macron entschied sich schließlich für Stéphane Séjourné, den scheidenden Außenminister und einen engen Vertrauten. Séjourné, der zuvor Vorsitzender der zentristischen Renew-Fraktion im Europäischen Parlament war, genießt nicht nur Macrons volles Vertrauen, sondern pflegt auch eine gute Beziehung zu Ursula von der Leyen. Im letzten Herbst hatte er von der Leyen nach Bordeaux eingeladen, um die Europawahlkampagne der Macronisten einzuläuten – ein Zeichen seiner Nähe zur Kommissionschefin.
Séjourné muss jedoch noch die letzte Kurve nehmen: Er muss die Zustimmung des Europäischen Parlaments erhalten. Erst dann wird er sein Abgeordnetenmandat niederlegen, was eine Nachwahl im Département Hauts-de-Seine auslösen wird.
Ein Wechsel, der allen passt?
Laut Élysée sei dieser Wechsel „in Absprache mit dem Premierminister“ Michel Barnier erfolgt. Auch wenn es eine „präsidentielle Entscheidung“ war, wurde Barnier frühzeitig in die Verhandlungen eingebunden. Interessant ist die unterschiedliche Dynamik zwischen Barnier und den beiden Kandidaten. Während Barnier und Séjourné „sich gut kennen“, habe er sogar ein „sehr gutes Verhältnis“ zu Thierry Breton. Dennoch scheint der Wechsel gut ins Timing zu passen – insbesondere für Barnier, der gerade dabei ist, sein Kabinett zu formen. Ein Macron-Berater scherzte: „Es passt ihm ganz gut – Séjournés Abgang macht einen wichtigen Posten frei: den Außenminister!“
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