Naturkatastrophen im Schatten eines Krieges
Die jüngsten Katastrophenmeldungen aus Afrika und Asien wirken wie Schlaglichter auf einen globalen humanitären Kollaps. Ende August wurde das Dorf Tarasin in den sudanesischen Marrah-Bergen durch einen gewaltigen Erdrutsch ausgelöscht – möglicherweise starben über tausend Menschen. Fast zeitgleich erschütterte ein starkes Erdbeben die ostafghanische Provinz Konar und forderte nach offiziellen Angaben mehr als 2200 Todesopfer. In beiden Fällen wurden die Rettungsmaßnahmen durch zerstörte Infrastruktur, fehlende Ressourcen und politische Rahmenbedingungen massiv behindert. Doch so tragisch diese Ereignisse sind, sie geraten in den Hintergrund einer viel größeren Notlage: dem permanenten Ausnahmezustand in zwei Ländern, die seit Jahrzehnten zwischen Krieg, Armut und internationaler Isolation gefangen sind.
Darfur – eine Katastrophe im Bürgerkrieg
Im Sudan hat der Erdrutsch von Tarasin vor allem symbolische Bedeutung: Er zeigt die extreme Verwundbarkeit einer Gesellschaft, die seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im April 2023 zerfällt. Laut Schätzungen sind seither mehr als 150.000 Menschen ums Leben gekommen. Zugleich verzeichnen die Vereinten Nationen die größte Vertreibungskrise der Welt: Rund zwölf Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen, Hunderttausende sind nach Darfur geflüchtet – ausgerechnet in eine Region, die selbst seit Jahrzehnten ein Synonym für ethnische Gewalt und Milizenherrschaft ist.
Die humanitäre Bilanz ist verheerend: Cholera-Ausbrüche, Hungersnöte und die systematische Zerstörung von Krankenhäusern prägen das Bild. Nach UN-Angaben sind mehr als sieben Millionen Frauen und Mädchen von grundlegender Gesundheitsversorgung abgeschnitten. Die Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sieht hinreichende Belege für Kriegsverbrechen der berüchtigten Rapid Support Forces, die in Darfur ganze Ortschaften niedergebrannt und Massaker an Zivilisten verübt haben sollen.
Afghanistan – Naturgewalt trifft fragile Strukturen
Auch in Afghanistan hat die Naturkatastrophe eine Gesellschaft getroffen, die seit Jahrzehnten keine Stabilität kennt. Die Provinz Konar im Osten des Landes liegt in einem schwer zugänglichen Gebirgsgebiet, wo traditionelle Landwirtschaft und Viehzucht die einzige Lebensgrundlage darstellen. In manchen Dörfern sollen laut Hilfsorganisationen bis zu 98 Prozent der Häuser zerstört worden sein. „Nicht einmal eine Wand ist stehen geblieben“, klagte ein Bauer gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
Die Taliban-Regierung, international isoliert und unter westlichen Sanktionen stehend, wandte sich nach dem Erdbeben um Hilfe an China, Usbekistan und internationale Hilfswerke. Doch die Mittel reichen kaum aus. Rund die Hälfte der afghanischen Bevölkerung – etwa 20 Millionen Menschen – ist laut UN eigentlich von humanitärer Unterstützung abhängig. Gleichzeitig leidet das Land unter massiven Rückführungen: Allein aus Pakistan und Iran mussten in den vergangenen Monaten mehr als zwei Millionen Afghanen zurückkehren.
Internationale Gleichgültigkeit und schrumpfende Hilfsbudgets
Das eigentliche Drama im Sudan wie in Afghanistan liegt nicht allein in den Naturkatastrophen, sondern in der Abwesenheit internationaler Solidarität. Die US-Regierung hat seit Beginn der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps drastische Kürzungen bei USAID durchgesetzt. In Afghanistan führte dies zur Schließung von hunderten kleinen Kliniken, im Sudan zu einem drastischen Rückgang der Nahrungsmittelhilfe. Auch die EU und andere Geberländer haben ihre Beiträge zurückgefahren – nicht zuletzt wegen der innenpolitisch zunehmend ablehnenden Haltung gegenüber Flüchtlingen.
Cindy McCain, die Exekutivdirektorin des Welternährungsprogramms (WFP), warnte jüngst vor einer „tiefen Finanzierungslücke“, die Millionen Menschen von lebensnotwendiger Nahrungsmittelhilfe abschneidet. Die Hilfswerke stehen vor einer unlösbaren Aufgabe: global steigender Bedarf trifft auf sinkende Budgets.
Flüchtlingspolitik zwischen Abschottung und Not
Während in Europa und den USA migrationspolitische Debatten immer stärker auf Abschottung und Grenzkontrolle hinauslaufen, droht in den Krisenregionen die humanitäre Lage weiter zu eskalieren. Sudan und Afghanistan stehen exemplarisch für die „permanente Katastrophe“, wie sie der Direktor des Norwegischen Flüchtlingsrats beschrieb: Kriege und Naturereignisse überlagern sich, verschärfen Armut und Hunger und treiben Millionen Menschen in die Flucht.
Der politische Wille, diese Dynamik zu durchbrechen, scheint gering. In Washington ist nicht erkennbar, dass die Regierung – trotz vereinzelter humanitärer Hilfspakete – ihre restriktive Haltung gegenüber den Taliban oder ihre zurückhaltende Sudan-Politik revidieren will. Auch andere westliche Staaten konzentrieren sich stärker auf geopolitische Prioritäten wie die Ukraine oder den Indopazifik, während afrikanische und zentralasiatische Krisen an den Rand gedrängt werden.
Die Katastrophen von Tarasin und Konar zeigen, wie sehr Naturereignisse in fragilen Staaten als Katalysator von Elend wirken. Doch sie machen auch deutlich, dass das eigentliche Versagen auf einer höheren Ebene liegt: im Auseinanderklaffen von globalem Hilfsbedarf und politischem Willen. So drohen Sudan und Afghanistan, in einer Spirale aus Gewalt, Armut und internationaler Vernachlässigung gefangen zu bleiben – mit unabsehbaren Folgen für ihre Bevölkerungen und die Stabilität ganzer Regionen.
TOP-NACHRICHTEN
Ukraine: Russland hat den bislang größten Drohnenangriff des Krieges gestartet, bei dem fünf Menschen getötet und ein Regierungsgebäude in Kiew beschädigt wurden, in dem sich auch das Büro der Premierministerin befindet. Es war das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass ein zentrales Gebäude im Regierungsviertel – das von mehreren Ringen der ukrainischen Luftverteidigung geschützt wird – getroffen wurde. Trump erklärte gestern, er sei bereit, eine neue Runde von Sanktionen gegen Russland einzuleiten.
Japan: Premierminister Shigeru Ishiba kündigte an, nach weniger als einem Jahr im Amt zurückzutreten. Seine Liberaldemokratische Partei hatte im Juli bei den Parlamentswahlen eine schwere Niederlage erlitten, während neue rechtsextreme Gruppierungen an Zustimmung gewannen.
Gaza: Israels Plan, Palästinenser vor einer großangelegten Invasion der Stadt Gaza nach Süden zu drängen, hat die Spannungen mit Ägypten verschärft, das befürchtet, Israel könnte Menschen in sein Territorium abzuschieben versuchen. Das israelische Militär greift Hochhäuser in Gaza-Stadt an, die nach eigenen Angaben von der Hamas genutzt werden.
Autor: P. Tiko
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