Tag & Nacht




Montagmorgen, kurz nach 5 Uhr, in Chauffailles – einer verschlafenen Kleinstadt im Département Saône-et-Loire. Noch liegt der Nebel über den Gassen, als ein Knall die Stille durchbricht. Was zuerst wie ein Fehlzündungsknall wirkt, entpuppt sich als tödlicher Schuss. Wenige Minuten später liegt eine Frau leblos auf der Straße. Ihr Leben ausgelöscht – mit einer Kugel in den Kopf.

Sie war etwa 50 Jahre alt, ukrainischer Herkunft. Vor Kurzem hatte sie noch Anzeige erstattet – gegen ihren Ehemann. Der Grund: massive Spannungen im Zuge ihrer Scheidung. Ob diese belastete Beziehung zur Ursache ihres gewaltsamen Todes wurde? Noch ist es ein Puzzlestück im laufenden Ermittlungsverfahren.

Fahndung im Morgengrauen

Kaum hatte der Notruf die Polizei erreicht, startete die Gendarmerie eine groß angelegte Fahndung. Drei Départements – Saône-et-Loire, Rhône und Loire – standen unter Beobachtung. Und tatsächlich: Gegen 9 Uhr morgens – kaum vier Stunden nach dem Verbrechen – klickten die Handschellen. Auf der Terrasse eines Cafés in Pouilly-sous-Charlieu wurde der Verdächtige festgenommen. Fast beiläufig wirkte die Szenerie – als wäre nichts geschehen. Ein makabrer Kontrast zur Tat.

Jetzt ermitteln die Brigade de recherches aus Charolles gemeinsam mit der Section de recherches in Dijon. Offizieller Tatvorwurf: Mord.

Ein tragisches Einzelschicksal – und doch kein Einzelfall

So erschütternd dieser Vorfall auch sein mag, er steht nicht für sich allein. Jahr für Jahr sterben in Frankreich über hundert Frauen durch die Hand ihrer (Ex-)Partner. Im Jahr 2024 zählte man 118 Opfer solcher Femizide – eine Statistik, die einem den Atem nimmt. Jede Zahl darin steht für ein ausgelöschtes Leben, für zerbrochene Familien, für Angst und Ohnmacht.

Politische Initiativen? Gibt es. Verschärfte Gesetze, Notfallnummern, Schutzwohnungen – sie existieren. Und trotzdem bleibt die Realität für viele Frauen lebensgefährlich. Woran liegt das?

Gefangen in einem Netz aus Angst und Ohnmacht

Oft sind es nicht die juristischen Hürden, die Schutz unmöglich machen – sondern das gesellschaftliche Klima. Betroffene Frauen müssen nicht selten um Glauben, Gehör und Hilfe kämpfen. Was bringt eine Anzeige, wenn man anschließend ohne Schutzmaßnahmen allein zurückbleibt? Wenn Angst der tägliche Begleiter ist?

Der Fall in Chauffailles wirft erneut ein Schlaglicht auf die Unzulänglichkeiten im System. Wenn selbst eine Frau, die bereits Anzeige erstattet hat, so brutal getötet wird – wie sicher kann sich eine Frau dann fühlen?

Wer trägt die Verantwortung – und was muss sich ändern?

Klar ist: Der Staat trägt eine immense Verantwortung. Doch ebenso klar ist – es reicht nicht. Es braucht mehr. Schulen, Nachbarschaften, Ärzte, Kolleginnen und Kollegen – sie alle können Frühwarnsysteme sein. Wenn jemand regelmäßig mit sichtbaren Verletzungen zur Arbeit kommt – ist das wirklich nur ein Zufall? Wenn Kinder plötzlich still und verängstigt sind – darf das unbeachtet bleiben?

Oft sind es Kleinigkeiten, die Hinweise geben. Doch wer schaut hin? Wer traut sich, einzugreifen?

Ein System mit Lücken

Natürlich existieren mittlerweile zahlreiche Hilfsangebote. Frauenhäuser, psychologische Beratungsstellen, Notrufnummern – sie leisten großartige Arbeit. Aber sie sind chronisch unterfinanziert, personell überlastet und vielerorts schlicht überfüllt. So kommt es zu Fällen wie diesem – trotz aller Maßnahmen.

Und was ist mit den Tätern? Wiederholungstäter sind keine Seltenheit. Wer einmal gewalttätig wird, neigt oft zu Rückfällen. Trotzdem kommen viele mit Bewährungsstrafen davon oder werden viel zu spät sanktioniert.

Was nun?

Frankreich muss sich fragen, wie viele Leben noch zerstört werden müssen, bevor sich wirklich etwas ändert. Prävention darf kein Lippenbekenntnis sein. Es braucht Schulungen für Polizei, Justiz und Sozialdienste – und eine ernsthafte Debatte über toxische Männlichkeitsbilder und Machtstrukturen in Beziehungen.

Müssen Frauen wirklich sterben, damit ihre Not gehört wird?

Das Leben der Frau aus Chauffailles ist nicht mehr zu retten. Doch ihr Tod darf nicht umsonst gewesen sein. Er mahnt – laut und deutlich.

Von C. Hatty

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