Tag & Nacht




Der US-Präsident nutzt Amerikas Macht auf eine Weise, wie es keiner seiner modernen Vorgänger getan hat – mit global spürbaren Folgen.

Alte Gewissheiten zerfallen, aus Feinden werden plötzlich Freunde, und langjährige Verbündete sorgen sich tiefgreifend um den Zustand der US-Demokratie.


Befeuert umfassende Berichterstattung über Trump nicht genau das, was er sich wünscht – nämlich maximale Aufmerksamkeit?

Zweifellos hält er die Medien auf Trab. In Washington spricht man vom „flooding the zone“: Man überhäuft das Mediensystem mit einer solchen Menge an Nachrichten, dass es kaum möglich ist, den Überblick zu behalten. Es liegt in der Natur des Journalismus, Handlungen stärker zu gewichten als Worte – denn sie haben konkrete Auswirkungen, während Worte zunächst nur Rhetorik sein könnten.

Aber: Die Worte eines Präsidenten tragen erhebliche Macht. Sie offenbaren Haltungen und können Handlungen vorbereiten. Journalisten konzentrieren sich daher auf Äußerungen, die auf seine Überzeugungen schließen lassen und Hinweise darauf geben, wohin er das Land führen möchte. Ihn zu ignorieren, ist sicher nicht der richtige Umgang.


Haben sich die Persönlichkeiten von US-Präsidenten im Lauf der Zeit verändert? Von außen betrachtet wirkt die US-Politik zunehmend dysfunktional.

Die Persönlichkeiten haben sich verändert, weil sich die gesellschaftlichen Strukturen gewandelt haben. Im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends war die politische Lage ebenfalls konfliktreich. Dennoch bestand ein institutioneller Anreiz, parteiübergreifend zu arbeiten, um Dinge voranzubringen.

Heute ist das in den USA grundlegend anders. Gerrymandering – also das parteipolitisch motivierte Zuschneiden von Wahlkreisen –, die Fragmentierung klassischer Medien, die Dominanz sozialer Netzwerke und die dadurch zunehmende Polarisierung haben dazu geführt, dass viele gewählte Amtsträger kaum noch politischen Nutzen darin sehen, die politische Mitte anzusprechen.

Im Gegenteil: Wer sich zu kompromissbereit zeigt, riskiert innerparteiliche Gegenwehr. Der einzige realistische Weg, wie Kongressmitglieder ihre Wiederwahl gefährden, besteht darin, die eigene Basis zu verprellen. Das hemmt Zusammenarbeit und zieht zunehmend Hardliner an – statt Vermittler. Bis ins Weiße Haus.


Was unterscheidet Trumps Außenpolitik von der seiner Vorgänger? Geht es nur um Provokation oder steckt eine langfristige Strategie dahinter?

Journalisten neigen dazu, hinter dem Handeln eines Präsidenten eine verborgene Strategie zu vermuten – als müsse es einen übergeordneten Plan geben. Bei Trump jedoch geht es oft mehr um Instinkt als um strategisches Kalkül.

Sein Bauchgefühl sagt ihm, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA geschaffene internationale Ordnung Amerika benachteilige – und dass frühere Präsidenten, egal welcher Partei, es zugelassen hätten, dass andere Staaten – ob Verbündete oder Gegner – die USA ausnutzen.

Das ist ein Kernbestandteil seiner Überzeugung, die ihn schon seit Jahrzehnten begleitet. Er misst traditionellen Allianzen wenig Bedeutung bei, und er bewundert autoritäre Führer – denn für ihn zählt vor allem Stärke oder zumindest der Anschein davon. Zwar wäre es zu kurz gegriffen, Trumps Haltung als isolationistisch zu bezeichnen – er äußerte durchaus imperial anmutende Gedanken, etwa über eine Übernahme Grönlands oder des Panamakanals – doch sein Slogan „America First“ bringt seine Grundhaltung ziemlich genau auf den Punkt.


Die USA sehen sich traditionell als Leuchtturm von Demokratie und Freiheit. Welche Rolle spielt Trump bei der Wahrung dieser Werte – im Inland wie international?

Trump teilt nicht das klassische Demokratieverständnis, das von Präsidenten beider Parteien im 20. und 21. Jahrhundert vertreten wurde. Er versuchte, eine freie und faire Wahl, die er klar verloren hatte, rückgängig zu machen. In der Zeit zwischen seinen Regierungsperioden forderte er öffentlich die „Beendigung“ der US-Verfassung, um wieder an die Macht zu kommen. Er spielt regelmäßig mit dem Gedanken, über die verfassungsmäßig zulässigen zwei Amtszeiten hinaus im Amt zu bleiben.

Seit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus hat er Maßnahmen ergriffen, um die freie Presse einzuschränken, und nutzt seine Macht offen gegen politische Gegner. Ein ernsthaftes Interesse an der Förderung von Demokratie oder Menschenrechten weltweit zeigt er nicht. Im Gegenteil: Er hat sich mit Autokraten wie Putin, Xi Jinping, Mohammed bin Salman und dem ägyptischen Präsidenten Sisi – den er einmal als „meinen Lieblingsdiktator“ bezeichnete – solidarisiert. Gleichzeitig erklärte er, er wolle andere Länder nicht in Bezug auf deren Innenpolitik belehren – Ausnahmen bilden Venezuela und Brasilien.

Die eigentliche Frage lautet daher: Beobachten andere Länder dieses Verhalten – und fühlen sich dadurch ermutigt, sich ebenfalls von demokratischen Normen abzuwenden?

(Basierend auf einer Veröffentlichung der New York Times)


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Autor: P. Tiko

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