Tag & Nacht




Wenn wir an Tsunamis denken, haben die meisten von uns Bilder des Pazifischen oder Indischen Ozeans im Kopf. Die verheerenden Wellen, die 2004 in Südostasien über die Küsten hereinbrachen, oder das erschütternde Tōhoku-Erdbeben von 2011 in Japan – diese Naturkatastrophen haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Doch was viele nicht wissen: Auch das Mittelmeer hat in seiner Geschichte mehrfach mächtige Tsunamis erlebt. Ja, du hast richtig gelesen – das Mittelmeer! Obwohl diese Region meist mit sanften Wellen und warmen Brisen in Verbindung gebracht wird, birgt sie eine geologische Dynamik, die in der Vergangenheit bereits zu katastrophalen Tsunamis geführt hat.

Ein kurzer Blick auf die Natur eines Tsunamis

Bevor wir uns den historischen Ereignissen widmen, kurz zur Erinnerung: Ein Tsunami entsteht meist durch plötzliche Verschiebungen am Meeresboden, häufig in Folge eines starken Erdbebens. Dabei wird eine gewaltige Menge Wasser verdrängt, die sich dann in Form gigantischer Wellen ausbreitet. Anders als normale Meereswellen erreichen Tsunamis die Küsten mit enormer Geschwindigkeit und Höhe, wobei sie verheerende Zerstörung anrichten können.

Obwohl das Mittelmeer relativ klein erscheint, ist es tektonisch äußerst aktiv. An den Rändern der Afrikanischen, Eurasischen und Anatolischen Platte kommt es immer wieder zu Erdbeben, die potenziell Tsunamis auslösen können. Und das ist in der Geschichte nicht nur einmal passiert.

Der Ausbruch des Santorin-Vulkans: 1600 v. Chr.

Einer der berühmtesten und zugleich dramatischsten Tsunamis im Mittelmeer ereignete sich vor etwa 3.600 Jahren. Der Santorin-Vulkan – damals noch eine große Insel – brach mit einer Gewalt aus, die bis heute zu den stärksten vulkanischen Eruptionen der Menschheitsgeschichte zählt. Dieser Vulkanausbruch löste nicht nur einen Tsunami aus, sondern veränderte das Schicksal ganzer Kulturen.

Die Minoische Zivilisation auf Kreta, eine der fortschrittlichsten Kulturen des Mittelmeerraums, erlitt durch diesen Tsunami massiven Schaden. Berichten zufolge erreichten die Wellen die Küsten Kretas und zerstörten zahlreiche Siedlungen. Besonders betroffen war der Norden der Insel, wo die Flutwellen nicht nur Gebäude, sondern auch die Schiffe und den Handel der Minoer vernichteten. Einige Historiker vermuten, dass dieser Tsunami zum schleichenden Niedergang der Minoer beitrug.

Interessanterweise spekulieren manche Forscher, dass diese Naturkatastrophe sogar die Grundlage für den Mythos von Atlantis gewesen sein könnte. Plato schrieb Jahrhunderte später von einer fortschrittlichen Zivilisation, die in einem „Tag und einer Nacht“ durch eine Naturkatastrophe im Meer versank – war dies die Erinnerung an den Untergang der Minoer?

Der Tsunami von Alexandria: 365 n. Chr.

Ein weiteres erschreckendes Beispiel eines Mittelmeer-Tsunamis ereignete sich am 21. Juli 365 n. Chr. An diesem Tag erschütterte ein gewaltiges Erdbeben mit einer Stärke von geschätzten 8,5 bis 8,7 den östlichen Mittelmeerraum. Das Epizentrum lag vor der Küste von Kreta – erneut wurde die Insel zum Schauplatz einer Naturkatastrophe. Doch diesmal waren nicht nur Kreta und Griechenland betroffen. Die Wellen breiteten sich über das gesamte östliche Mittelmeer aus und erreichten die Küsten Nordafrikas, Italiens und sogar die Stadt Alexandria im heutigen Ägypten.

Berichten zufolge erreichte die Flutwelle in Alexandria eine Höhe von 9 Metern und zerstörte große Teile der Stadt. Zeitgenössische Chronisten beschrieben, wie der Hafen völlig überflutet wurde und unzählige Menschen ums Leben kamen. Die Auswirkungen des Tsunamis reichten sogar bis nach Sizilien und Dalmatien (heute Kroatien), wo ganze Küstenstädte zerstört wurden.

Dieser Tsunami ist ein eindrückliches Beispiel dafür, dass das Mittelmeer keineswegs sicher vor solchen Naturgewalten ist. Die Stärke des Bebens, gepaart mit der geografischen Nähe vieler bewohnter Gebiete zu den tektonischen Plattenrändern, macht die Region anfällig für ähnliche Ereignisse.

1908: Messina – Das vergessene Unglück

Ein weniger bekanntes, aber ebenso dramatisches Ereignis ereignete sich am 28. Dezember 1908 in der Straße von Messina, zwischen Sizilien und dem italienischen Festland. Ein starkes Erdbeben der Stärke 7,1 erschütterte die Region und richtete bereits enorme Schäden an. Doch es war der darauffolgende Tsunami, der das wahre Ausmaß der Katastrophe offenbarte.

Innerhalb weniger Minuten rollten drei riesige Flutwellen auf die Küsten von Messina und Reggio Calabria zu. Schiffe wurden an Land geschleudert, und Tausende Menschen starben, sowohl durch die Erdbeben als auch durch die Flutwellen. In Messina wurde fast die gesamte Stadt zerstört. Insgesamt verloren bei dieser Katastrophe schätzungsweise 100.000 Menschen ihr Leben – eines der verheerendsten Unglücke in der Geschichte Europas.

Messina ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie stark ein Tsunami auch in modernen Zeiten im Mittelmeer zuschlagen kann. Die enge geologische Verbindung zwischen Afrika und Europa und die Nähe zu großen Bevölkerungszentren machen die Region weiterhin anfällig.

Der „verborgene“ Tsunami von 1956

Nicht jeder Tsunami hinterlässt solch große Zerstörung, doch auch kleinere Tsunamis sind im Mittelmeer keine Seltenheit. Am 9. Juli 1956 löste ein Erdbeben bei der Insel Amorgos in der südlichen Ägäis einen Tsunami aus, der auf den Kykladeninseln und sogar in der Türkei Wellen von bis zu 25 Metern Höhe verursachte. Besonders betroffen waren die griechischen Inseln Astypalea und Santorin, wo die Wellen ganze Dörfer überfluteten. Glücklicherweise war die Bevölkerungsdichte in dieser Region zu jener Zeit relativ gering, sodass die Todesopferzahlen deutlich unter denen früherer Tsunamis blieben.

Dieser „vergessene“ Tsunami zeigt jedoch, dass die Gefahr keineswegs gebannt ist. Die tektonische Aktivität im Mittelmeer bleibt hoch, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem erneuten großen Tsunami kommt.

Eine unterschätzte Gefahr?

Die Vorstellung, dass auch das Mittelmeer Schauplatz verheerender Tsunamis sein kann, mag überraschen – aber die Geschichte beweist das Gegenteil. Von der Antike bis in die Neuzeit hat die Region immer wieder massive Flutwellen erlebt, die ganze Städte und Zivilisationen in die Knie zwangen. Angesichts der heutigen Bevölkerungsdichte und der zahlreichen Küstenstädte, die sich entlang des Mittelmeers erstrecken, wäre ein solcher Tsunami heute noch verheerender.

Obwohl es keine Warnsysteme wie im Pazifik gibt, wird zunehmend in die Überwachung und Forschung investiert, um die Menschen besser zu schützen. Doch wie sagt man so schön: Die Natur kennt keine Gnade. Was bleibt? Die Hoffnung, dass wir aus der Geschichte lernen und uns besser vorbereiten – denn die nächste große Welle könnte bereits auf dem Weg sein.

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