In Bourges, wo noch vor wenigen Jahren eine Rezession drohte, blüht heute ein Industriezweig auf, der anderswo Sorgenfalten hinterlässt: die Rüstungsindustrie. Die Waffenproduzenten MBDA und KNDS bringen der Stadt nicht nur neue Jobs – sie haben auch das Image des Ortes gründlich gewandelt.
„Was willst du denn in Bourges?“ Diese Frage hörte Sara, als sie ihren Pariser Kollegen von ihrem Umzug in die Provinz erzählte. Sie lächelte nur. Weniger Lärm, niedrigere Mieten – und ein besserer Job bei MBDA. Ihre Entscheidung? Ein Volltreffer.
Rüstungsboom schafft neue Lebenswelten
Inzwischen ist sie eine von rund 250 Menschen, die 2024 neu bei MBDA in Bourges angefangen haben. Dort produziert der Konzern unter anderem den Flugabwehrraketen-Klassiker Aster. Seit Beginn des Ukrainekriegs haben sich die Bestellungen vervielfacht. Das Orderbuch ist mit 37 Milliarden Euro prall gefüllt. Und die Produktion soll 2025 verdoppelt werden.
Auch bei KNDS, dem Produzenten der Caesar-Geschütze, läuft das Geschäft glänzend. Vor dem Krieg verließen zwei dieser Artilleriesysteme monatlich das Werk. Heute sind es sechs – Tendenz steigend. 600 Millionen Euro flossen bereits in die Produktionsausweitung.
Das alles bedeutet: Jobs, Jobs, Jobs.
Mehr als nur Arbeitsplätze
Der Bürgermeister von Bourges, Yann Galut, sieht in dieser Entwicklung nicht weniger als eine Zeitenwende: „Wir haben hier Arbeit für die nächsten 30 Jahre.“ Die Stadt, die einst unter dem Rückbau der Streitkräfte litt und deren Einwohnerzahl von 75.000 (1990) auf 63.700 (2021) schrumpfte, erlebt einen kaum für möglich gehaltenen Aufschwung.
Und der betrifft nicht nur die großen Konzerne. Rund 6.000 Menschen in der Region arbeiten heute in der Verteidigungsbranche. Schulen, Ausbildungszentren und kleine Betriebe profitieren mit. Die Ecole militaire préparatoire technique (EMPT) und der Pyrotechnik-Campus wurden gegründet, um Fachkräfte auszubilden, die längst rar geworden sind.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der Verteidigungssektor zur Kaderschmiede für den Nachwuchs wird?
Steuerplus und Wachstum – aber zu welchem Preis?
Die positiven Effekte zeigen sich auch bei den Steuereinnahmen. Die gesamte Region profitiert. Rund 100 Zulieferbetriebe hängen inzwischen an den beiden großen Rüstungsschmieden. Serge Richard von der Handelskammer des Cher bringt es auf den Punkt: „Ein Job in der Rüstung schafft viele weitere drumherum.“
Gleichzeitig wächst die Stadt in einem Tempo, das auch Herausforderungen mit sich bringt. Neue Wohnungen, Kitas, Schulplätze – der Alltag muss mit dem industriellen Aufschwung Schritt halten. Der Bürgermeister hat MBDA und KNDS bereits um genaue Angaben zu ihren Expansionsplänen gebeten. Denn klar ist: Ohne Vorbereitung läuft hier bald gar nichts mehr.
Schon jetzt sichern sich die Konzerne neue Flächen. MBDA hat kürzlich das alte Handelskammergebäude sowie ein 50 Hektar großes Gelände gekauft – die Expansion schreitet voran.
Kritik? Vereinzelt. Und oft überhört
Während Minister regelmäßig zu Besuchen ein- und ausfliegen, bleiben kritische Stimmen bislang leise – aber es gibt sie. Bei einem Besuch von François Bayrou im März gingen immerhin 100 Menschen auf die Straße. Die CGT-Gewerkschaft warnt vor einem „kriegerischen Diskurs“ und fürchtet, dass der Boom in der Rüstung anderen Branchen das Personal entzieht – von der Autoindustrie bis zur Luftfahrt.
Sébastien Martineau von der CGT formuliert es drastisch: „Was passiert, wenn das alles plötzlich zusammenbricht?“ Es klingt wie ein mahnender Ruf in einem Chor des Optimismus.
Sicherheit als neues Geschäftsmodell?
Für den Abgeordneten François Cormier-Bouligeon ist die Antwort klar: Diese Industrie schütze nicht nur Frankreich – sie verteidige Europa. Die Caesar-Geschütze, sagt er, seien mitverantwortlich dafür, dass die Ukraine standhalten kann. Und auch im Roten Meer, wo französische Raketen gegen Huthi-Rebellen eingesetzt werden, zeige sich die sicherheitspolitische Relevanz dieser Waffen.
Er deutet den alten Satz neu: Wer Frieden will, muss sich wappnen.
In Bourges bedeutet das vor allem eins: Jobs und Zukunft. Für viele eine willkommene Überraschung. Für andere ein moralisches Dilemma. Doch in der Stadt selbst überwiegt die Euphorie. „Es ist traurig“, sagt Serge Richard, „aber das Unglück der einen ist das Glück der anderen.“
Vielleicht ist das die bittere Wahrheit in einer Welt, die nicht zur Ruhe kommt.
Von C. Hatty
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