Ein Auto – Sinnbild für Freiheit, Fortschritt, Mobilität. Doch hinter diesem glänzenden Image verbirgt sich ein Skandal von historischem Ausmaß, der still und leise Zehntausende Menschenleben gekostet hat. Der VW-Dieselgate-Skandal, vor zehn Jahren aufgedeckt, zieht bis heute blutige Spuren durch Europa. Eine neue Studie des finnischen Forschungszentrums CREA enthüllt: In Frankreich allein starben seit 2009 rund 16.000 Menschen vorzeitig – wegen falscher Abgaswerte.
Diese Zahl trifft einen wie ein Schlag ins Gesicht. Denn es ist das erste Mal, dass die gesundheitlichen Folgen dieses Skandals so konkret beziffert werden. Zwischen 2009 und 2019 wurden in Europa über 200 Dieselmodelle mit sogenannten Abschalteinrichtungen verkauft – Technik, die eigens dafür entwickelt wurde, die Abgasreinigung während echter Fahrbedingungen zu umgehen. Auf dem Prüfstand sauber, auf der Straße tödlich.
Und das ist keine Übertreibung.
Stickstoffdioxid – ein aggressives Reizgas, das in hohen Konzentrationen nachweislich Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes und Krebs begünstigt – wurde in enormen Mengen zusätzlich freigesetzt. Diese „illegalen Emissionen“, wie die CREA-Studie sie nennt, hätten laut Normen niemals in unsere Lungen gelangen dürfen. Und doch – sie sind es.
Die Rechnung dafür ist tragisch: Bis 2040 sollen es insgesamt 24.000 Todesopfer in Frankreich werden. Davon wären 8.000 Leben noch zu retten – wenn Politik und Industrie endlich entschlossen handeln würden.
Anne Lassman-Trappier von France Nature Environnement bringt es auf den Punkt: „Wir müssen handeln – sofort!“ In den USA wurde nach dem Aufdecken des Dieselgate-Skandals konsequent durchgegriffen. Fahrzeuge wurden zurückgerufen, Software-Updates aufgespielt, Strafen verhängt. In Frankreich? Fehlanzeige.
Warum schützt man hierzulande eher die Hersteller als die Bevölkerung?
Lassman-Trappier spricht von tausenden vermeidbaren Asthmaerkrankungen, Millionen verlorenen Arbeitsstunden – ein enormer Schaden für Wirtschaft und Gesellschaft. Die CREA-Studie beziffert den wirtschaftlichen Verlust auf sage und schreibe 146 Milliarden Euro. Davon allein 2,4 Millionen Krankheitstage, verursacht durch vermeidbare Abgasbelastung.
Man stelle sich das einmal vor: Schulen, in denen Kinder mit Asthma kämpfen. Menschen, die frühzeitig ihre Arbeit verlieren – oder gar ihr Leben. Und all das, weil einige Manager glaubten, sie könnten sich über Umweltgesetze hinwegsetzen.
Dabei ist das Problem nicht auf Frankreich beschränkt. EU-weit, inklusive Großbritannien, sind laut Studie 205.000 vorzeitige Todesfälle zu beklagen. Der volkswirtschaftliche Schaden? Über 1.200 Milliarden Euro – eine kaum fassbare Summe.
Währenddessen haben Gerichte langsam, aber sicher begonnen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. In Deutschland wurden vier Ex-Volkswagen-Manager jüngst zu Haftstrafen verurteilt – bis zu viereinhalb Jahre. Rupert Stadler, ehemaliger Audi-Chef, erhielt 21 Monate auf Bewährung. Ein Anfang. Doch reicht das?
Natürlich nicht.
Solange die betroffenen Autos weiterhin auf unseren Straßen unterwegs sind, solange keine umfassende Nachrüstung oder Entschädigungspflicht durchgesetzt wird, geht das schmutzige Spiel weiter – und die unsichtbaren Opfer nehmen kein Ende.
Es bleibt die Frage: Wie viele müssen noch sterben, bis Europa den gleichen Mut zeigt wie die USA? Vielleicht ist es an der Zeit, den Mythos vom „sauberen Diesel“ endgültig zu beerdigen. Und die Autobranche daran zu erinnern, dass Profit niemals über Menschenleben stehen darf.
Von Andreas M. Brucker
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