Es brummt, surrt und fliegt – aber nicht nur auf der Rennstrecke. Die berühmten 24 Stunden von Le Mans, die am 14. und 15. Juni in ihre 93. Runde gehen, sehen sich mit einem ungebetenen Gegner konfrontiert: Massen von Insekten.
Und zwar nicht zu übersehen – beziehungsweise genau das ist das Problem.
Der erfahrene Schweizer Rennfahrer Sébastien Buemi, der bereits vier Mal als Sieger aus dem Langstreckenklassiker hervorging, konnte seinen Augen kaum trauen. Oder besser gesagt: Er konnte kaum noch etwas sehen. „Das ist jetzt das 14. Mal, dass ich hier bin – aber sowas hab ich noch nie erlebt!“, sagt der Toyota-Pilot im Interview mit Ici Maine. Nach den ersten Qualifikationsläufen sprach er offen über ein Problem, das kurios klingt, aber im Cockpit brandgefährlich werden kann: Insekten, so zahlreich, dass sie die Sicht auf der über 13 Kilometer langen Strecke massiv beeinträchtigen.
Besonders auf der legendären Hunaudières-Geraden, wo die Boliden mit über 300 km/h entlangrasen, gerät das Ganze zur Lotterie. „Man kommt aus der Box, beschleunigt – und dann ist die Scheibe voll. Du siehst buchstäblich nichts mehr“, beschreibt Buemi seinen unfreiwilligen Blindflug.
Insektenalarm über Le Mans
Die Insektenplage trifft nicht nur die Rennstrecke, sondern weite Teile der Region Sarthe und viele Städte im Westen Frankreichs. Warum gerade jetzt? Offenbar sorgen die warmen Temperaturen und eine hohe Luftfeuchtigkeit im Juni für ideale Bedingungen für die kleinen Plagegeister. Und sie scheinen ein besonderes Faible für den Circuit de la Sarthe entwickelt zu haben.
Buemi berichtet von regelrechten „Wolken“ aus Insekten, die besonders in den Abendstunden zwischen 20:30 und 21 Uhr zur Höchstform auflaufen. Danach sei der Spuk gegen 22 Uhr meist vorbei – bis zur nächsten Dämmerung.
Doch bis dahin kann’s eng werden, vor allem bei den Trainings und Qualifyings, wenn jede Runde zählt. „Wenn du dann noch hinter einem bist, der ein bisschen Öl verliert und das ganze klebt dir zusätzlich auf der Scheibe, dann wird’s richtig hässlich“, so der Rennfahrer.
Scheibenwischer? Fehlanzeige!
Ein einfacher Knopfdruck auf den Wischerhebel hilft hier übrigens nicht weiter. „Die Scheibenwischer schaffen das nicht. Du musst auf den nächsten Boxenstopp warten. Und im schlimmsten Fall fährst du eben zwölf Runden mit einer schmierigen Insektenschicht durch die Gegend“, erklärt Buemi. Kein schönes Szenario – aber: „Das betrifft ja alle. Da gibt’s keine Wunderlösung.“
Man könnte fast meinen, der Natur ist das egal.
Cadillac vorne, Toyota hinterher
Während die Insekten für Gesprächsstoff sorgen, fand auf der Strecke natürlich auch Motorsport statt – wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Die Qualifikation zur Hyperpole wurde von Cadillac dominiert, dessen Wagen die schnellsten Zeiten setzen konnten. Die favorisierten Toyota-Boliden von Buemi und Co. landeten nur auf den Plätzen 10 und 16.
Allerdings – und das wissen alle: In einem 24-Stunden-Rennen zählt der Startplatz eher wenig. Was zählt, ist Konstanz, Taktik und Durchhaltevermögen – und jetzt wohl auch die Fähigkeit, trotz Fliegenplage einen kühlen Kopf zu bewahren.
Oder um es mit den Worten eines Technikers in der Boxengasse zu sagen: „Das ist halt Le Mans. Da rechnet man mit allem – aber nicht mit ’nem Fliegenschwarm.“
Ob am Ende Insekten oder Ingenieurskunst siegen, wird sich zeigen. Aber eines ist sicher: Die 24 Stunden von Le Mans 2025 starten mit einer Geschichte, die so noch keiner erlebt hat.
Von Andreas M. Brucker
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