Tag & Nacht




Ein kleines Dorf nahe Périgueux im Herzen der Dordogne – sonst ein Ort der Ruhe und des beschaulichen Lebens – ist über Nacht zum Schauplatz einer schockierenden Tragödie geworden. In den frühen Morgenstunden des Montags fanden Einsatzkräfte die Leichen einer 38-jährigen Frau und ihrer 13-jährigen Tochter in ihrem Haus. Beide wurden mit einer Stichwaffe getötet.

Der mutmaßliche Täter? Ein 41-jähriger Mann – der Ex-Partner der Frau. Er wählte selbst gegen vier Uhr morgens den Notruf und stellte sich den Behörden. Seitdem sitzt er in Polizeigewahrsam. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.

Solche Taten reißen nicht nur Familien auseinander – sie reißen auch alte Wunden in einer Gesellschaft auf, die immer wieder mit häuslicher Gewalt konfrontiert ist.

96 Frauen – in nur einem Jahr

Frankreich zählt zu den Ländern, in denen Gewalt gegen Frauen besonders häufig und drastisch in Erscheinung tritt. Im Jahr 2023 starben laut Innenministerium 96 Frauen durch die Hand ihres aktuellen oder ehemaligen Partners. Auch wenn diese Zahl im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent gesunken ist – Grund zum Aufatmen liefert sie nicht. Wer würde angesichts solcher Zahlen ernsthaft behaupten, das Problem sei auf dem Rückzug?

Ein Femizid ist nicht „nur“ ein Mord. Es ist der Ausdruck eines zutiefst gestörten Machtverhältnisses, eines Systems, das Gewalt in Beziehungen oft lange duldet oder übersieht, bevor es eskaliert.

Ein Hilferuf, der oft ungehört bleibt

Zu oft haben Betroffene im Vorfeld Warnsignale gesendet – stille, leise oder auch laute. Manchmal liegt die Tragödie nicht im Verbrechen selbst, sondern in der Ohnmacht davor: Die Angst, sich zu offenbaren. Die Scham. Die gesellschaftliche Stille, die wie ein Schleier über allem liegt.

Und hier beginnt unsere gemeinsame Verantwortung.

Opfer häuslicher Gewalt brauchen keine Almosen. Sie brauchen sichere Räume, Schutzmechanismen, Ansprechpartner. Sie brauchen eine Gesellschaft, die hinhört, statt wegzuschauen. Eine Gesellschaft, die sich nicht fragt, was das Opfer hätte tun können – sondern was der Täter nicht hätte tun dürfen.

Prävention fängt früher an

Natürlich braucht es Gesetze. Natürlich braucht es staatliche Programme. Doch die Wurzel liegt tiefer – in der Erziehung, in der Art, wie wir über Beziehungen sprechen, über Rollenbilder, über Macht. Wie oft wird noch gesagt: „Das ist doch Privatsache“? Wie oft denken wir: „Das betrifft uns nicht“?

Doch genau da beginnt der Wandel.

Ein radikaler Perspektivwechsel ist nötig. Täterarbeit muss verstärkt werden – damit gefährdete Personen gar nicht erst zu Tätern werden. Schulen sollten mehr über gesunde Beziehungen sprechen. Ärzte, Lehrer:innen, Nachbarn: Alle, die in Kontakt mit Betroffenen kommen könnten, sollten sensibilisiert sein.

Ein Dorf im Schockzustand

Zurück in die Dordogne. Die Ermittlungen liegen nun in den Händen der Brigade de Recherche in Périgueux. Für die Angehörigen der Opfer beginnt eine Zeit, in der Antworten womöglich nie all das erklären können, was geschehen ist.

Der Ort, der bisher kaum jemandem ein Begriff war, ist nun traurigerweise auf der Landkarte jener Gewalt, die immer wieder zuschlägt – still, erbarmungslos, mitten unter uns.

Was bleibt zu tun?

Man könnte meinen, mit jedem Fall würde die Gesellschaft wachsamer. Doch wie viele Mahnmale braucht es noch? Wie viele Namen müssen in Gedenklisten auftauchen, bevor wirklich etwas ins Rutschen gerät?

Diese Tat ist nicht „ein Einzelfall“. Sie reiht sich ein in eine düstere Statistik, die nicht abstrakt bleibt – sondern Leben zerstört.

Wer das Thema immer noch als Randnotiz sieht, verkennt seine Tragweite. Femizide sind nicht nur Gewalttaten. Sie sind ein Spiegel dessen, wie wir mit Schwäche, Macht und Menschlichkeit umgehen.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich dieser Spiegel endlich dreht – nicht nur für Gesetze, sondern für ein Klima, in dem niemand mehr sagen muss: „Ich wusste nicht, wohin.“

Von C. Hatty

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