Tag & Nacht




Es sind Bilder, die sich einprägen: Schlauchboote in peitschender See, Menschen dicht gedrängt, durchnässt und erschöpft – irgendwo zwischen Hoffnung und Angst. In der Nacht vom 20. auf den 21. März griffen französische Rettungskräfte gleich viermal ein, um 168 Migranten aus akuter Seenot zu retten. Sie hatten versucht, von der französischen Küste aus nach England zu gelangen.

Der Schauplatz: die Dünen von Slack, wenige Kilometer nördlich von Boulogne-sur-Mer, ein Ort, der in der Geschichte des Ärmelkanals längst traurige Berühmtheit erlangt hat. Weitere Einsätze fanden nahe Cran-Poulet sowie vor der Küste von Dünkirchen statt. Drei Personen – zwei Verletzte und eine bewusstlose Person – wurden per Hubschrauber geborgen und anschließend im Krankenhaus von Boulogne-sur-Mer medizinisch versorgt.

Ein Rettungseinsatz, der unter die Haut geht.

Denn wer sich bei Eiseskälte und rauer See in ein kleines Boot setzt, nimmt alles in Kauf – selbst den Tod. Zwei der Boote, die sich in Schwierigkeiten befanden, konnten ihre gefährliche Überfahrt fortsetzen. Die Seenotretter blieben in Funkreichweite und hielten Kontakt, um im Ernstfall sofort eingreifen zu können. Ein Drahtseilakt zwischen Hilfeleistung und der Schwierigkeit, Grenzübertritte rechtlich zu erfassen.

Diese Überfahrten sind längst kein seltenes Phänomen mehr. Seit Jahresbeginn sind bereits acht Menschen bei dem Versuch ums Leben gekommen, den Ärmelkanal zu überqueren – die letzte Tragödie ereignete sich nur einen Tag zuvor, in der Nacht vom 19. auf den 20. März, vor Gravelines im Norden Frankreichs.

Ein stilles Sterben – fast schon zum Alltag geworden.

Doch hinter jeder Zahl steckt ein Mensch. Ein Schicksal. Eine Geschichte, die in einem Boot kulminiert, mitten auf dem stürmischen Meer. Was treibt jemanden dazu, alles zurückzulassen, um sich in die Hände der Wellen zu begeben? Die Antwort ist komplex – aber meist liegt sie in Krieg, Armut oder Verzweiflung.

Es ist ein Teufelskreis: Strengere Grenzkontrollen auf dem Landweg führen immer häufiger zu riskanten Fluchtversuchen über das Meer. Die Menschen nehmen große Gefahren in Kauf – mit dem Wissen, dass das Ziel vielleicht niemals erreicht wird.

Und trotzdem: Der Strom reißt nicht ab.

Für die französischen Rettungskräfte bedeuten solche Nächte Schwerstarbeit. Sie wissen nie, was sie erwartet. Sie reagieren schnell, oft unter Lebensgefahr. Die Zusammenarbeit mit britischen Behörden ist angespannt – nicht zuletzt seit dem Brexit. Politische Lösungen scheinen in weiter Ferne.

Stattdessen wird improvisiert. Koordiniert. Gerettet. Immer wieder.

Die Bilder dieser Nacht stehen sinnbildlich für ein größeres Dilemma: Europas Migrationspolitik wirkt oft wie ein Flickenteppich. Jedes Land kämpft mit eigenen Regeln, unterschiedlichen Prioritäten, politischen Lagerkämpfen. Derweil bleibt das Meer erbarmungslos – und die Boote fahren weiter.

Wie viele Tragödien braucht es noch, bis echte Lösungen auf den Tisch kommen?

Auch in dieser Nacht hätte alles anders ausgehen können. Glück war im Spiel, schnelle Reaktionen der Einsatzkräfte – und vielleicht ein wenig Schicksal. Für 168 Menschen endete die Fahrt zumindest nicht tödlich.

Doch der Preis bleibt hoch. Für alle Beteiligten.

Catherine H.

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