Es gibt diese Tage im Dezember, die fühlen sich anders an.
Die Luft riecht nach Kälte, Zimt und leichtem Stress. In den Innenstädten schieben sich Menschen mit Tüten durch enge Gassen, manche mit Plan, viele ohne. Verkäufer lächeln routiniert, obwohl die Füße längst protestieren. Und irgendwo zwischen Lichterketten und Ladenschluss tickt eine unsichtbare Uhr.
Noch drei Tage. Noch zwei. Noch ein letzter Samstag.
Weihnachten 2025 zeigte einmal mehr, wie sehr sich das Geschäft auf die allerletzte Strecke konzentriert. Für viele Händler entscheidet sich jetzt, ob das Jahr mit einem Plus endet oder ob monatelange Mühe nur ein Pflaster auf eine offene Rechnung bleibt. Klingt dramatisch? Ist es auch – zumindest für jene, die seit Wochen auf genau diesen Moment hinarbeiten.
Der Dezember als Schicksalsmonat
In Gesprächen mit Einzelhändlern fällt immer wieder derselbe Satz.
„Wenn es jetzt nicht läuft, dann gar nicht.“
Dezember zählt in vielen Branchen nicht einfach als guter Monat. Er zählt als der Monat. Ein Drittel, manchmal sogar die Hälfte des Jahresumsatzes entsteht hier. Spielwaren, Mode, Kosmetik, Elektronik – ohne Weihnachtsgeschäft gerät das ganze Zahlenwerk ins Wanken.
Dabei wirkt der Start oft trügerisch. Anfang Dezember bleibt es ruhiger als erhofft. Die Kassen klingeln, aber nicht euphorisch. Erst kurz vor Heiligabend kippt die Stimmung. Dann kommen sie alle gleichzeitig – die Unentschlossenen, die Aufschieber, die „Ach, ich brauch ja doch noch was“-Kunden.
Warum eigentlich warten so viele bis zum Schluss?
Und warum scheint dieses Verhalten 2025 noch ausgeprägter?
Zwischen Vorsicht und Verlangen
Ökonomisch betrachtet lebt dieses Weihnachtsgeschäft von einem Spagat. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach Normalität, nach großzügigen Geschenken, nach diesem warmen Gefühl unter dem Baum. Auf der anderen Seite drückt ein hartnäckiges Bauchgefühl: Lieber einmal mehr überlegen als einmal zu viel ausgeben.
Internationale Zahlen, unter anderem von Reuters, zeigen zwar ein Umsatzwachstum im Weihnachtsgeschäft. Doch das Wachstum bleibt gezähmt. Keine Euphorie, kein Kaufrausch wie früher. Stattdessen gezielte Käufe, Preisvergleiche, klare Prioritäten.
Man gönnt. Aber man übertreibt nicht.
Ein Verkäufer aus einer mittelgroßen deutschen Stadt bringt es trocken auf den Punkt:
„Die Leute kommen – aber sie fragen zuerst nach dem Preis und dann erst nach der Emotion.“
Last Minute als neue Normalität
Früher galt der Last Minute Einkauf fast als Makel. Heute wirkt er wie ein Lebensstil.
Zeitmangel, mentale Erschöpfung, finanzielle Planung – alles verschiebt Entscheidungen nach hinten.
Fast vier von zehn Konsumenten erledigen ihre Weihnachtseinkäufe in der letzten Woche. Manche aus Kalkül, andere aus purer Überforderung. Und seien wir ehrlich: Wer kennt dieses Gefühl nicht, wenn plötzlich der 22. Dezember im Kalender steht?
„Mist, ich brauche noch was für Tante Eva.“
Die spannende Wendung: Diese späten Käufer retten vielen Geschäften das Jahr. Sie greifen häufiger zu, lassen sich beraten, entscheiden spontaner. Kein stundenlanges Onlinevergleichen mehr – jetzt zählt, was verfügbar ist.
Gerade kleine Läden profitieren davon. Nähe, persönliche Ansprache, sofortige Mitnahme. Kein Versandstress, keine Lieferangst. Einfach kaufen, einpacken, abhaken.
Super Saturday – der Tag der Wahrheit
Der letzte Samstag vor Weihnachten besitzt beinahe mythischen Status.
Super Saturday nennen ihn die Amerikaner. Händler nennen ihn gern „den Tag, an dem alles passieren muss“.
An diesem einen Tag fließen teils zweistellige Prozentsätze des gesamten Dezemberumsatzes. Einkaufszentren quellen über, Fußgängerzonen verwandeln sich in langsam wogende Menschenströme. Parkhäuser? Hoffnungslos.
Ist das noch Einkaufen oder schon Extremsport?
Für Verkäufer gleicht dieser Tag einem Marathon ohne Zielband. Acht, neun, zehn Stunden durchgehend Betrieb. Fragen, Kassen, Verpackungen. Trotzdem hält niemand zurück. Jeder Kunde zählt. Jede Transaktion bedeutet Luft zum Atmen.
Eine Inhaberin eines Spielwarenladens lacht müde:
„Nach Super Saturday weiß ich, ob ich im Januar ruhig schlafen darf.“
Online bleibt wichtig – aber nicht alles
Natürlich spielt der Onlinehandel weiter eine zentrale Rolle. Doch die letzten Tage vor Weihnachten gehören wieder stärker den stationären Geschäften. Warum? Weil Zeit plötzlich kostbarer ist als der letzte Euro Rabatt.
Wer am 21. Dezember bestellt, hofft. Wer in den Laden geht, weiß.
Gerade 2025 zeigt diese Verschiebung deutlich. Online eignet sich perfekt für Planung. Die letzte Woche verlangt Sicherheit. Deshalb steigen die Besucherzahlen in Innenstädten spürbar, selbst bei Kälte und Nieselregen.
Und ja – viele Käufer geben dann sogar mehr aus als geplant. Spontane Zusatzgeschenke, schöne Verpackungen, ein kleines Extra an der Kasse. Weihnachten wirkt hier wie ein psychologischer Verstärker.
Kleine Händler unter Druck
So romantisch das Bild wirkt, die Realität bleibt hart.
Steigende Kosten, hohe Mieten, Personalmangel – all das verschwindet nicht unter Lichterketten.
Berichte aus den USA und Europa zeigen, dass gerade kleine Unternehmen trotz guter Frequenz kämpfen. Mehr Umsatz bedeutet nicht automatisch mehr Gewinn. Wer stark rabattiert, zahlt später den Preis.
Ein Buchhändler formuliert es bitter:
„Volle Läden sehen gut aus. Volle Konten wären mir lieber.“
Und doch investieren viele. In Deko. In verlängerte Öffnungszeiten. In zusätzliche Aushilfen. Weil sie wissen: Diese Tage entscheiden.
Konsumenten zwischen Gewissen und Geschenkpapier
Interessant bleibt auch der emotionale Zwiespalt vieler Käufer. Einerseits der Wunsch nach sinnvollem Konsum, Nachhaltigkeit, bewussten Entscheidungen. Andererseits die Macht der Tradition.
Schenken gehört zu Weihnachten wie der Baum. Und Geschenke kosten Geld.
Also wird gerechnet, abgewogen, verschoben. Erst wenn der Druck groß genug wirkt, fällt die Entscheidung. Paradox? Ja. Menschlich? Absolut.
Wer kennt nicht diese innere Stimme:
„Eigentlich wollte ich sparen – aber das hier passt einfach.“
Die Innenstadt als Bühne
Gerade in der letzten Woche entfalten Städte ihre volle Weihnachtsdramaturgie. Musik aus Lautsprechern, Glühweingeruch, Straßenkünstler. All das verlängert die Verweildauer – und erhöht die Kaufwahrscheinlichkeit.
Kommunen wissen das. Händler wissen es erst recht. Deshalb investieren viele Städte gezielt in Atmosphäre. Denn Stimmung verkauft.
Manchmal genügt ein beleuchtetes Schaufenster, um einen müden Passanten doch noch hereinzuziehen. Und plötzlich liegt da ein Geschenk, mit dem man morgens nicht gerechnet hat.
Ein fragiles Gleichgewicht
Weihnachten 2025 zeigt keinen hemmungslosen Konsum. Es zeigt ein vorsichtiges Ja zum Ausgeben. Die Leute kaufen, aber mit angezogener Handbremse. Händler profitieren, aber auf Messers Schneide.
Vielleicht liegt genau darin die Besonderheit dieses Jahres. Kein Überschwang, kein Einbruch. Sondern ein sensibles Gleichgewicht, das sich erst ganz am Ende stabilisiert.
Und während draußen die Tage kürzer werden, bleibt drinnen die Hoffnung:
Dass diese letzte Woche reicht.
Reicht für die Miete.
Reicht für die Gehälter.
Reicht für ein gutes neues Jahr.
Ob sie reicht? Das weiß niemand vor dem 24. Dezember. Und genau das macht diese Tage so nervenaufreibend – und so entscheidend.
Wer bis hierher durchhält, hat schon gewonnen. Ein bisschen jedenfalls.
Oder wie ein Verkäufer augenzwinkernd sagt:
„Nach Weihnachten zähle ich erst mal meine Schritte. Und dann meine Einnahmen.“
Zwei Zahlen, die selten so eng zusammenhängen.
Ein Artikel von M. Legrand
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