Was wäre, wenn das, was wir täglich trinken, plötzlich zur Bedrohung wird? Genau das erleben gerade Tausende Menschen im französischen Département Var. Nach den sintflutartigen Regenfällen am 20. Mai 2025 kämpfen ganze Gemeinden nicht nur mit zerstörten Straßen und Stromausfällen – sondern auch mit einem unsichtbaren, aber besonders tückischen Feind: verunreinigtem Trinkwasser.
Die unsichtbare Gefahr aus dem Hahn
Nach außen sieht es oft harmlos aus – klares Wasser, das aus dem Wasserhahn fließt. Doch wer dieser Tage in Orten wie Fayence, Callian oder Tourrettes lebt, weiß: Der Schein trügt.
Die massiven Regenfälle haben das Erdreich aufgewühlt, Rückstände in die Leitungen gespült und Wasseraufbereitungsanlagen überfordert. Die Folge: Trübungen, Keimbelastung, mikrobiologische Verunreinigungen. In sieben Gemeinden des Pays de Fayence wurde das Leitungswasser als ungenießbar eingestuft.
Die Behörden reagierten schnell und warnten eindringlich: Wasser vor dem Trinken, Kochen oder Zähneputzen mindestens fünf Minuten lang abkochen. Ein einfacher Schritt – doch für viele ältere oder alleinstehende Menschen eine Herausforderung.
Der Alltag wird zur logistischen Meisterleistung
Was früher ein Griff zum Hahn war, wird jetzt zur logistischen Aufgabe. Schulen organisieren Flaschenwasserausgaben, Apotheken verteilen Informationsblätter und freiwillige Helfer liefern Wasser an menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Die „Maison de l’eau“ in Fayence dient als zentrale Anlaufstelle – dort holen sich täglich Hunderte frisches Trinkwasser.
Die Stimmung ist angespannt. Viele Bewohner haben den Eindruck, dass diese Krise kein Einzelfall ist, sondern ein wiederkehrendes Problem. Immer wieder nach Starkregen – verunreinigtes Wasser. Die Vertrauensbasis zur Wasserversorgung hat Risse bekommen.
Risikogruppen besonders betroffen
Für gesunde Erwachsene mag es ein vorübergehendes Ärgernis sein. Für Schwangere, Säuglinge, ältere Menschen oder immungeschwächte Personen kann kontaminiertes Wasser jedoch ernsthafte gesundheitliche Folgen haben. Magen-Darm-Infekte, Infektionen – nichts ist auszuschließen.
Deshalb arbeiten Sozialdienste auf Hochtouren, um genau diese Gruppen zu schützen. Doch wie lange kann dieser Ausnahmezustand aufrechterhalten werden, ohne dass das System ermüdet?
Ein strukturelles Problem?
Viele Experten sprechen inzwischen von einem strukturellen Versagen. Die Wasserversorgung in der Region sei nicht ausreichend gegen Wetterextreme abgesichert, Filteranlagen veraltet, Notfallpläne unvollständig. Hinzu kommt: Der Klimawandel erhöht nicht nur die Häufigkeit solcher Regenereignisse – er verschärft auch die Wirkung. Böden nehmen Wasser schlechter auf, Rückhaltebecken laufen über, und Keime gelangen ungehindert ins Trinkwassersystem.
Es ist, als hätte man jahrzehntelang ein Netz mit Löchern gespannt – und wundert sich nun, dass es reißt, wenn es wirklich gebraucht wird.
Wie weiter?
Die Politik steht unter Druck. Erste Forderungen nach einer Modernisierung der Wasserwerke, robusteren Leitungsnetzen und transparenter Kommunikation werden laut. Es braucht Investitionen – nicht morgen, sondern heute. Gleichzeitig muss auch das Bewusstsein in der Bevölkerung gestärkt werden. Was tun bei einer Abkoch-Empfehlung? Wie erkennt man kontaminiertes Wasser? Welche Rechte haben Bürger in solchen Krisenfällen?
Trinkwasser – mehr als nur ein Grundbedürfnis
Wasser ist Leben, sagt man. Doch was, wenn dieses Leben krank macht? Die Krise im Var zeigt mit brutaler Deutlichkeit: Die Qualität unseres Trinkwassers ist keine Selbstverständlichkeit. Sie hängt ab von guter Infrastruktur, kluger Vorsorge – und manchmal auch vom Wetterbericht.
Die Flut ist vorbei. Doch der Kampf um sauberes Wasser geht weiter.
Und er betrifft uns alle – früher oder später.
Autor: Andreas M. Brucker
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