Tag & Nacht


Die französischen Berge wirken dieser Tage wie in Watte gepackt. Tief verschneit, majestätisch, ein Wintermärchen für Urlauber. Und doch liegt über einigen Skigebieten eine spürbare Schwere. Zwei Männer haben ihr Leben verloren, verschüttet von Lawinen, mitten in der Hochsaison, mitten im Vertrauen auf Erfahrung, Technik und Vorbereitung. Der Berg hat gesprochen – endgültig.

Im Zentrum der Erschütterung steht die Station La Plagne in der Savoie. Dort kam am Freitag, dem 26. Dezember, ein Mann ums Leben, der als Inbegriff alpiner Kompetenz galt. Ein Hochgebirgsführer, erfahren, anerkannt, tief verwurzelt im Leben der Station. Einer von denen, bei denen man glaubt, sie kennten jede Falte des Geländes, jede Laune des Schnees. Und doch reichte ein Moment, ein falsches Gleichgewicht im fragilen Schneemantel, und eine breite Lawinenzunge riss ihn in die Tiefe.

Am nächsten Tag herrschte in La Plagne eine Stille, die selbst für den Winter ungewöhnlich wirkte. Auf den Terrassen der Cafés, an den Liften, in den Gesprächen der Skilehrer. Viele kannten ihn persönlich. Einer von ihnen, selbst Skilehrer, sprach von einem Kollegen, der Respekt genoss, der Sicherheit ausstrahlte. Dass es „theoretisch jedem passieren kann“, klang weniger wie eine Floskel als wie ein vorsichtiges Eingeständnis menschlicher Grenzen.

Der Mann war nicht allein unterwegs. Fünf weitere Skifahrer befanden sich mit ihm im Gelände, als sich die Schneemassen lösten. Sekunden genügen in solchen Momenten. Sekunden, in denen aus kontrollierter Bewegung Chaos entsteht. Die Bilder spielen sich später im Kopf ab, bei jenen, die zurückgekehrt sind, und bei denen, die davon hören. Eine Skifahrerin sagte, man überlege nun zweimal, bevor man ins freie Gelände gehe. Ein anderer sprach davon, dass der Berg immer stärker bleibe als jede Vorbereitung. Klingt banal. Ist es aber nicht.



Fast zeitgleich ereignete sich ein weiteres Drama. In Valloire starb ein 59-jähriger Skitourengeher, ebenfalls von einer Lawine erfasst. Und auch aus Val d’Isère wurden weitere Lawinenabgänge gemeldet. Allein diese Häufung innerhalb eines Tages zeigt, wie angespannt die Lage in den Alpen aktuell ist. Kein isoliertes Ereignis, kein tragischer Zufall, sondern ein Muster.

Die Ferienzeit verschärft die Situation zusätzlich. Mehr Menschen, mehr Bewegung im Gelände, mehr Versuchungen, die markierten Pisten zu verlassen. Gleichzeitig arbeiten die Sicherheitsdienste am Limit. Pistenraupen, Sprengungen, Kontrollen. In vielen Skigebieten gehören gezielte Lawinenauslösungen inzwischen zum täglichen Ritual. Ein kontrolliertes Donnern, um das unkontrollierbare Risiko zu senken.

Besonders kritisch präsentiert sich die Lage in den Pyrenäen. In den Pyrénées-Orientales liegt die Lawinenwarnstufe aktuell bei vier von fünf. Eine Zahl, die nüchtern wirkt, aber eine klare Botschaft trägt. Sehr hohes Risiko. Das freie Gelände gilt als stark gefährdet, Skitouren als kaum vertretbar. In der Station Cambre d’Aze wird diese Botschaft unmissverständlich kommuniziert. Der Direktor spricht offen davon, dass Stufe fünf nur selten erreicht werde – Stufe vier jedoch bereits ein deutliches Warnsignal darstelle. Kein Spielraum für Abenteuerromantik.

Der Winter hat es in sich. Massive Schneefälle, dazu starker Wind in der Höhe. Diese Kombination wirkt wie ein unsichtbarer Baumeister, der Schicht um Schicht aufeinandertürmt, ohne sie zu richtig zu verbinden. Der Schneemantel wird instabil, brüchig, bereit, bei der kleinsten Zusatzbelastung nachzugeben. Ein einzelner Skifahrer genügt dann manchmal, um eine ganze Flanke in Bewegung zu setzen.

Was bleibt, ist eine Mischung aus Faszination und Furcht. Die Berge ziehen an, gerade weil sie nicht vollständig beherrschbar sind. Doch die aktuellen Ereignisse erinnern daran, dass Erfahrung kein Freifahrtschein ist. Dass Technik, Ausbildung und moderne Sicherheitsausrüstung Risiken mindern, aber nicht aufheben. Und dass der Respekt vor der Natur mehr bedeutet als das Abhaken von Checklisten.

In den Gesprächen der Urlauber taucht derzeit ein neuer Ton auf. Nachdenklicher, leiser. Man fährt weiter Ski, natürlich. Man genießt den Schnee, die Weite, das Licht. Aber man hört genauer hin, wenn Warnungen ausgesprochen werden. Vielleicht bleibt man einen Tag auf der Piste, obwohl der frische Pulverschnee nebenan lockt. Klingt vernünftig. Ist es auch.

Die tödlichen Lawinen von La Plagne und Valloire haben die Saison nicht gestoppt. Aber sie haben sie geerdet. Der Berg erinnert daran, wer hier das letzte Wort führt. Und das ist gut so, auch wenn der Preis dafür manchmal schmerzhaft hoch ausfällt.

Autor: C.H.

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