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Wladimir Putin und seine Propagandisten haben viele Russen davon überzeugt, dass ihr Land in einem existenziellen Kampf gegen die USA steht. Doch nun sehen sie sich mit einer plötzlichen Annäherung an Washington konfrontiert – und müssen mit den Folgen umgehen.

Mit der überraschenden Kehrtwende der Trump-Regierung in Richtung Moskau gerät Russlands ultrapatriotische Szene in Aufruhr. Jene, die die USA als Erzfeind betrachten, müssen sich nun mit einer möglichen Normalisierung der Beziehungen abfinden.

Drei Jahre nach Beginn des großangelegten Angriffs auf die Ukraine hat sich insbesondere unter den Kriegsbefürwortern eine radikale Ideologie verfestigt. Die von Putin und nationalistischen Kreisen propagierte Vorstellung eines Überlebenskampfes gegen den „kollektiven Westen“ hat sich tief in der Gesellschaft verankert.

Das Erstarken der „Z-Community“

Der Krieg hat eine neue politische Kraft in Russland erstarken lassen: die sogenannte „Z-Community“ – eine Bewegung aus militärischen Bloggern, ultranationalistischen Aktivisten und Freiwilligen, die eine völlige Unterwerfung der Ukraine fordern. Viele von ihnen haben öffentlich erklärt, dass sie keine Friedenslösung akzeptieren werden, wenn diese nicht die Entfernung von Präsident Wolodymyr Selenskyj und einen Regimewechsel in Kiew umfasst.

Während die Verhandlungen zwischen Russland, der Ukraine und den USA langsam voranschreiten, muss Putin genau auf diese lautstarke – und teilweise bewaffnete – Gruppe achten. Diese Szene hat in den vergangenen Jahren an Einfluss gewonnen und bewiesen, dass sie sogar zur offenen Rebellion fähig ist, wie der Aufstand des Söldnerführers Jewgenij Prigoschin zeigte.

Die sogenannten „Turbopatrioten“ haben während des Krieges eine wichtige Rolle gespielt. Viele kämpften an der Front und wurden im Gegenzug in der russischen Gesellschaft aufgewertet. Jahrzehntelang galten diese extremen Nationalisten als potenzielle Bedrohung für den Kreml, doch Putin nutzte sie gezielt zur Verbreitung seiner Kriegspropaganda. Gleichzeitig entwickelten sie sich zu einer der wenigen Gruppen, die offen Kritik an der politischen Führung äußerten – und in manchen Fällen vom Staat zum Schweigen gebracht wurden.

Interne Unruhen: Die Schatten von Prigoschin und Girkin

Der Aufstand der Wagner-Gruppe im Jahr 2023 war die ernsthafteste interne Herausforderung für Putins Herrschaft in jüngster Zeit. Der Putschversuch wurde zwar rasch entschärft, doch Prigoschin und seine wichtigsten Vertrauten kamen wenig später bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben.

Auch andere einflussreiche Stimmen der nationalistischen Bewegung wurden ausgeschaltet: Igor Girkin, ein ehemaliger FSB-Agent und Separatistenkommandeur, der die Kriegsführung des Kremls scharf kritisierte, wurde vergangenes Jahr wegen „Extremismus“ zu vier Jahren Haft verurteilt.

Ein ranghoher Kremlbeamter räumte ein, dass die Normalisierung der Beziehungen zu den USA nicht von allen begrüßt wird. „Es gibt definitiv einen Teil der Gesellschaft, der damit unzufrieden sein wird“, sagte er anonym. Besonders unter jenen, die glauben, dass die Ukraine als Staat nicht mehr existieren dürfe, sei die Skepsis groß.

Der Politologe Wladimir Pastuchow von der University College London wies in einem Beitrag darauf hin, dass Putins abrupter Schwenk in Richtung Washington das nationalistische Lager spalten und eine ernsthafte Herausforderung für die Stabilität seines Regimes darstellen könnte.

„Die Ideologie des Putinismus“, schrieb Pastuchow, „ist ein instabiles Isotop, das sich bei der ersten Gelegenheit in seine Einzelteile auflöst.“ Sollte es tatsächlich zu einem Abkommen kommen, sei mit noch stärkeren internen Konflikten zu rechnen.

Die Reaktion der Nationalisten

Besonders heftig fiel die Reaktion der „Z-Community“ auf die jüngsten Spekulationen über einen möglichen Waffenstillstand aus. Einige sehen darin einen Versuch, Russland den Sieg zu entreißen. Der kremlnahe Politikanalyst Sergej Markow schrieb, dass eine solche Einigung „ein Verrat am russischen Volk“ wäre.

Der nationalistische Schriftsteller Sachar Prilepin fragte auf Telegram: „Worin genau liegt unsere russische Freude?“ Anstatt über eine Annäherung an die USA zu jubeln, solle man sich auf den Zustand der ukrainischen Armee, die Lage der Russisch-Orthodoxen Kirche und die Kontrolle über strategische Städte konzentrieren.

Dmitri Rogosin, nationalistischer Politiker und ehemaliger russischer NATO-Botschafter, bezeichnete diejenigen, die sich über Trumps Russland-freundlichen Kurs freuten, als „entweder dumm oder Agenten ausländischer Geheimdienste“.

Religiöse Hardliner warnen vor einem „Pakt mit dem Teufel“

Auch innerhalb der russisch-orthodoxen Gemeinschaft gibt es Unruhe. Viele Geistliche hatten die Invasion als „spirituellen“ Kampf gegen einen dekadenten Westen dargestellt. Ein plötzlicher Kurswechsel gegenüber Washington könnte dieses Narrativ ins Wanken bringen.

Boris Kortschewnikow, Moderator des religiösen Senders „Spas“, schrieb auf Telegram: „Für die Amerikaner ist es ein Deal. Für uns ist es ein Krieg und ein Opfer für die Zukunft Russlands.“ Er verglich eine mögliche Einigung mit einem „Pakt mit dem Teufel“.

Soldaten an der Front: „Es geht nur um den Sieg“

An den Frontlinien stößt die Debatte über einen möglichen Frieden auf wenig Interesse. Ein ehemaliger Wagner-Kämpfer, der im Krieg ein Bein verlor, sagte in einem Interview: „Es hat sich alles um 180 Grad gedreht. Aber es ist alles nur Politik. Niemand will ein starkes Russland – vor allem nicht Amerika.“

Ein Offizier einer Aufklärungseinheit, der unter dem Rufnamen „Gaiduk“ bekannt ist, erklärte, dass ihn die medialen Debatten nicht interessierten. „Wir haben keine Zeit dafür. Für uns zählt nur der Sieg.“

Die nationalistischen Kämpfer, so Gaiduk, würden sich zwar Putins Anordnungen fügen, aber nur mit „gebrochenem Herzen“, sollte der Präsident das Ende des Krieges erklären. „Wenn wir diesen Abschaum jetzt nicht vernichten, wird der Krieg auf unsere Kinder übergehen.“

Gaiduk betonte jedoch auch, dass Putin sich in die richtige Richtung entwickle: „Er war früher zu europäisch, zu westlich. Jetzt kehrt er zurück in den Schoß der russischen Zivilisation. Das ist wunderbar.“

Ein kalkuliertes Risiko für Putin

Ein ehemaliger Putin-Berater betonte, dass die radikalen Nationalisten zwar lautstark seien, aber letztlich nur wenig Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung hätten. „Niemand im Kreml hört wirklich auf diese Leute“, sagte er. „Sie werden für Propaganda-Zwecke genutzt, aber in der Realität spielen sie keine Rolle.“

Obwohl einige Hardliner versuchen könnten, gegen eine mögliche Friedenslösung zu mobilisieren, bleibt die Mehrheit der Russen passiv und wird Putins Entscheidung voraussichtlich mittragen.

Der Journalist Alexei Wenediktow bringt es auf den Punkt: „Die Frage war immer: Wofür kämpfen wir? Gegen wen? Jetzt zeigt sich, dass wir nicht gegen jemanden kämpfen – sondern für unsere Position unter Sonne, Mond und Himmel.“

Autor: MAB

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