Tag & Nacht


Es gibt Städte, die bei Nacht schimmern. Und dann gibt es Lyon. Eine Stadt, die sich, kaum fällt der Abend, wie ein lebendiges Bühnenbild entfaltet, als hätte jemand eine unsichtbare Hand über die Dächer gelegt und gemurmelt: Allez, jetzt zeigen wir ihnen mal, wie Licht wirklich geht.

Die Fête des Lumières 2025 hat diesem leisen Murmeln ein neues Echo geschenkt. Ein kraftvolles, vibrierendes Echo aus 500 kleinen Flugwesen, die den Himmel über dem Parc de la Tête d’Or übernehmen. Und ganz ehrlich: selten hat Lyon so hoch gegriffen, um nahbarer zu wirken.

Begeben wir uns mitten hinein in diese Nacht. Dorthin, wo Technik und Tradition sich umarmen, wo Familien dicht an dicht stehen, wo Kinder nach oben deuten und Erwachsene plötzlich wieder acht Jahre alt sind.


Ein See, ein Himmel — und 500 leuchtende Pinselstriche

Der Parc de la Tête d’Or ist schon tagsüber ein Geschenk. Aber nachts, während der Fête des Lumières, verwandelt er sich in eine Szene, die an ein halbvergessenes Märchen erinnert. Die Bäume zeichnen schwarze Silhouetten, der See wirkt wie ein Spiegel, der zu viel Licht geschluckt hat, und zwischen all dem schwebt ein feiner Nebel, der die Spannung noch verstärkt.

Dann ein surrendes Summen. Wie ein kollektives Einatmen.

Und plötzlich steigen sie auf: 500 Drohnen, die wirken wie Glühwürmchen mit Ingenieursdiplom. Sie tanzen, sie formieren sich, sie zerfallen wieder, nur um sich in neuen Figuren zusammenzufinden. Sternbilder. Spiralen. Ein Phönix. Ein wanderndes Herz. Ein kurzer Moment, in dem Lyon selbst zu pulsieren scheint.

Ein Motiv aber sticht besonders hervor: die Hommage an die lumignons. Diese kleinen Flammen, die seit Jahrhunderten aus Lyoner Fenstern flackern, erscheinen nun hoch oben als leuchtendes Mosaik. Wer dabei keine Gänsehaut bekommt — wie soll man da noch ans Bodenständige glauben

Der gesamte Tanz dauert acht Minuten. Kurz genug, um den Zauber nicht zu überreizen, lang genug, um sich ins Gedächtnis einzubrennen.


Hinter den Kulissen — wo Poesie und Präzision zusammenfinden

Natürlich wirkt so ein Spektakel wie Magie. Doch hinter dieser Magie steht ein Heer aus Fachleuten. Die Firma Allumée aus Saint Priest ist die unsichtbare Maschine hinter der Himmelskunst. Dort wird programmiert, komponiert, getestet, neu getestet und dann noch einmal getestet.

Die Routine zwischen zwei Shows gleicht einer kleinen Operation: Akkus wechseln, Formationen nachjustieren, Sicherheitssysteme prüfen, das Timing fein abstimmen. Neun Shows pro Abend — das ist, um es mal salopp zu sagen, ein echter Ritt.

Und dann dieses ewige Zittern vor dem Wind. Eine Böe zu viel, und der Himmel bleibt dunkel. Drohnen sind innovativ, aber sturmerprobt sind sie nicht unbedingt. Trotzdem entsteht ein Zusammenspiel, das so harmonisch wirkt, als wäre es nie etwas anderes gewesen als pure Kunst.


Weniger Budget, weniger Werke — aber ein großes Wagnis

2025 ist nicht gerade ein Jahr, in dem Lyon im Geld schwimmt. Das Gesamtbudget der Fête wurde von 3,8 auf etwa 3,4 Millionen Euro gedrückt, und die Zahl der Installationen schrumpft von 32 auf 23. Das klingt knapp, und es ist knapp.

Doch gerade in dieser Begrenzung wagt die Stadt einen Sprung. Ein Drohnenspektakel dieser Größenordnung ist kein vorsichtiges Projekt, sondern ein Statement. Eine Art: Wir sparen, aber wir blenden trotzdem.

Es ist ein Risiko, klar. Aber auch ein kraftvolles Signal. Ein bisschen wie ein Musiker, der zwar ein kleineres Orchester hat, dafür aber ein gewagteres Solo spielt.


Die ersten Reaktionen — Funken, Fragen und ein bisschen Skepsis

Die ersten Tests wurden mit offenen Mündern quittiert. Viele sprechen von einer Erfahrung, die sich tief in die Geschichte der Fête des Lumières einschreiben könnte. Die Musik passt, die Choreografie fesselt, und die Reflexionen auf dem See verdoppeln die Illusion, als schwebe man zwischen zwei Himmeln.

Doch es wäre keine echte Lichtfête ohne Gegenstimmen. Manche Besucherinnen und Besucher empfinden den Einsatz von Drohnen als Abkehr vom warmen, menschlichen Charakter der traditionellen Lumignons. Zu modern, zu glatt, zu technologisch. Ein bisschen so, als würde ein alter Familienbrauch plötzlich von einem futuristischen Cousin übernommen.

Aber gehört dieser Konflikt nicht irgendwie dazu
Wäre die Lumières überhaupt die Lumières, wenn alle einhellig nicken würden


Für wen lohnt sich das Spektakel

Diese Frage lässt sich erstaunlich klar beantworten.

Für Kinder, die das Gefühl bekommen, der Himmel erzähle ihnen ein Geheimnis. Für Paare, die am See Hand in Hand stehen und glauben, das Licht tanze nur für sie. Für Tourist:innen, die zum ersten Mal erleben, wie eine Stadt nicht nur beleuchtet ist, sondern selbst leuchtet. Für Kunstliebhaber, die Lust auf neue Impulse haben. Und schließlich für alle, die gern staunen.

Aber Achtung: keine großen Rucksäcke, früh genug da sein, Snacks mitnehmen, Jacken gut schließen. Und ja, hoffen, dass der Wind nicht ausgerechnet an diesem Abend seine wilde Seite zeigt.


Mein Blick — ein Flugversuch zwischen Tradition und Zukunft

Wenn man, wie ich, seit Jahren durch die Lichtnächte Lyons wandert, spürt man, wenn eine Ausgabe anders ist. Dieses Jahr ist anders. Nicht, weil es lauter wäre oder prunkvoller. Sondern weil der Himmel selbst zu einer Bühne geworden ist.

Braucht eine alte Tradition neue Flügel?
Oder sollte sie lieber ihren festen Boden behalten?

Ich glaube, die Wahrheit liegt dazwischen. Die Drohnen bringen frische Impulse, sie weiten den Blick, sie öffnen eine neue erzählerische Ebene. Doch solange in Lyon tausende kleine Kerzen an Fenstern stehen, bleibt die Seele des Fests unangetastet.

2025 ist ein Übergangsjahr. Ein Brückenschlag. Vielleicht ein Prolog. Wenn L’Éveil des Lumières das Publikum weiterhin so berührt, könnte die Zukunft der Fête des Lumières höher liegen, als wir dachten. Aber die Kerzen am Fenster werden bleiben. Und genau das macht den Reiz aus: die Mischung aus uraltem Licht und neuer Technologie, aus Wärme und Präzision, aus leiser Tradition und kühner Bewegung.

Lyon hat mit diesem Flug der Drohnen nicht nur den Himmel erhellt, sondern auch den Blick auf seine eigenen Möglichkeiten. Und jede Stadt, die Menschen dazu bringt, schweigend nach oben zu schauen, macht etwas richtig.

Ein Artikel von M. Legrand

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