Tag & Nacht

Am 22. September 2006 zeichnete der damalige französische Präsident seinen russischen Amtskollegen mit der Ehrenlegion aus, um die „Freundschaft“ zwischen beiden Ländern zu feiern. Heute, mit dem Krieg in der Ukraine, hat sich der Kontext stark verändert.

Der damalige Präsident Jacques Chirac hat im Jahr 2006 seinem russischen Kollegen Wladimir Putin das Großkreuz der Ehrenlegion verliehen, die höchste Auszeichnung der Französischen Republik. Sechzehn Jahre später, inmitten des von Russland gegen die Ukraine geführten Krieges, stellt sich die Frage, ob dem russischen Präsidenten dieser Orden aberkannt werden sollte. Ohne eindeutig Stellung zu beziehen, schloss Emmanuel Macron diese Möglichkeit nicht aus.

Die Zeremonie fand in aller Stille am 22. September 2006 im Elysée-Palast statt. Unter dem Knistern einiger weniger Blitzlichter heftete Präsident Chirac ein kleines rotes Band mit der Auszeichnung an Wladimir Putins Jacke. Die französischen Medien waren nicht über diese Zeremonie informiert worden. Ohne die Anwesenheit eines vom Kreml einbestellten Fotografen und eines Kamerateams hätte die Zeremonie keine Spuren hinterlassen.

Auch der im Elysée-Palast akkreditierte AFP-Korrespondent erfuhr von der Verleihung erst im Nachhinein, wie der Sender France 5 damals berichtete. Der Journalist gab die Nachricht zwar am Abend weiter, sie wurde jedoch von den Medien mangels Bildmaterial nur sehr spärlich aufgegriffen. Die russischen Fernsehsender berichteten jedoch über die grosse Ehre, die dem russischen Präsidenten zuteil wurde.

Um den Mangel an Transparenz zu rechtfertigen, sprach der Elysée-Palast von einer „völlig privaten und daher nicht offiziellen Zeremonie“. Die Diskretion lässt sich jedoch auch durch den damaligen Kontext erklären. 2006 wurde der beginnende Autoritarismus Wladimir Putins bereits von Oppositionellen und NGOs angeprangert, wie eine Erklärung der NGO Reporter ohne Grenzen drei Tage nach Bekanntgabe der Auszeichnung belegt: „Dass ein Raubtier der Pressefreiheit in den Rang eines Trägers des Großkreuzes der Ehrenlegion erhoben wird, ist eine Beleidigung für all diejenigen in Russland, die für die Verteidigung der Pressefreiheit, die Freiheit, informiert zu werden, und für die Existenz einer effektiven Demokratie in diesem Land kämpfen.“

Der Sprecher der Präsidentschaft erklärte damals, dass „der Beitrag Wladimir Putins zur Freundschaft zwischen Russland und Frankreich“ der Grund für die Verleihung dieser Auszeichnung gewesen sei.

Der Orden der Ehrenlegion, der 1802 von Napoleon Bonaparte eingeführt wurde, beruht auf klaren Regeln. Traditionell schlagen Minister Menschen vor, die sich um das allgemeine Interesse oder um das Interesse Frankreichs verdient gemacht haben. Die Nominierungen werden dann vom Großkanzler der Ehrenlegion geprüft aber der Präsident der Republik hat die endgültige Entscheidung.

Es gibt jedoch auch andere Gründe für eine Verleihung. Der zweite Grund der Verleihung der Ehrenlegion besteht darin, die Außenpolitik Frankreichs zu begleiten. Das hatte Napoleon bereits eingeführt, aber der Brauch, Personen im Rahmen diplomatischer Beziehungen zu ehren, geht in Frankreich sogar bis ins Mittelalter zurück. Bei diesen „diplomatischen“ Auszeichnungen entscheidet der Präsident der Republik als Großmeister der Ehrenlegion allein über die Verleihung der Auszeichnung und informiert den Großkanzler erst nachträglich darüber. Wenn es um die Auszeichnung von Ausländern geht, ist weder eine Mitteilung noch eine Veröffentlichung im Amtsblatt vorgesehen.

Im September 2006 hielt sich Wladimir Putin anlässlich eines Dreiergipfels zwischen Frankreich, Deutschland und Russland, der in Compiègne stattfand, in Frankreich auf. Wie die Zeitung Le Monde damals berichtete, ging es insbesondere darum, die Europäer hinsichtlich der Beteiligung einer russischen Bank am Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS (heute Airbus) zu beruhigen. Am Ende der Regierungszeit von Jacques Chirac pflegten Frankreich und Russland recht herzliche Beziehungen. In seiner Rede auf dem Dreiergipfel sprach der französische Präsident sogar von „in jeder Hinsicht ausgezeichneten bilateralen Beziehungen, insbesondere in den Bereichen Energie, Infrastruktur oder Luftfahrt“.

Jacques Chirac und Wladimir Putin waren sich insbesondere durch ihre gemeinsame Ablehnung des Irakkriegs im Jahr 2003 näher gekommen. Russland ist Mitglied der G8, dem Club der reichsten Länder der Welt, und hat 2006 sogar den G8-Gipfel in St. Petersburg organisiert. Moskau stellte daher damals in den Augen des Westens nicht die gleiche Bedrohung dar wie heute.

Fünfzehn Jahre später ist Wladimir Putin immer noch Träger des Großkreuzes der Ehrenlegion. Emmanuel Macron, der kürzlich dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskij die gleiche Auszeichnung verliehen hat, hat aber jederzeit die Möglichkeit, dem russischen Präsidenten diese Ehre wieder abzuerkennen. Als er nach einem EU-Gipfel in Brüssel am 9. Februar von Journalisten befragt wurde, schloss Macron dies nicht aus, sprach aber von einer Entscheidung, die „bedeutungsschwer“ sei und die es im „richtigen Moment“ zu treffen gelte.


Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!