Die Gewalt in den nördlichen Stadtteilen von Marseille hat erneut zugeschlagen. Am Montagabend, dem 23. September, wurde ein Mann in den Vierzigern im Viertel Belle-de-Mai – einem der berüchtigten Brennpunkte der Stadt – durch Schüsse schwer verletzt. Die Nachrichten, die am nächsten Morgen bekannt wurden, sind erschütternd: Vier Kugeln trafen den Mann im Bauch, eine weitere im Arm. Sein Leben hängt an einem seidenen Faden. Wie konnte es erneut so weit kommen?
Eine tödliche Routine?
Marseille, insbesondere die nördlichen Viertel, sind schon lange Schauplätze krimineller Auseinandersetzungen. In den letzten Tagen scheint sich die Spirale der Gewalt nach eine Zeit deutlicher Entspannung wieder zuzuspitzen. Bereits zwei Tage vor dieser neuen Schießerei war der Tod eines 17-Jährigen in der Nähe des „Moulin de Mai“, einem bekannten Drogenumschlagsplatz, die tragische Folge eines bewaffneten Angriffs. Sein Bruder überlebte schwer verletzt. Man fragt sich: Wie lange noch sollen solche Szenarien Teil des Alltags der Stadt am Mittelmeer sein?
Die Ermittlungen zu den aktuellen Schiessereien laufen auf Hochtouren. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass es sich um einen Einzeltäter handelte, der sich dem Opfer bewaffnet zu Fuß näherte und ohne zu zögern das Feuer eröffnete. Ein brutaler und gezielter Angriff – der mittlerweile traurigerweise als typisch gilt für die Auseinandersetzungen in den gefährdeten Stadtteilen von Marseille.
Ein Teufelskreis ohne Ende?
Die Frage, die sich viele stellen, ist: Was liegt diesen wiederholten Morden und Mordanschlägen zugrunde? Ist es bloß der Drogenhandel, der die Straßen unsicher macht? Oder sind es soziale Probleme, die junge Menschen in ein kriminelles Umfeld drängen und den Weg für solche Tragödien ebnen? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
Es ist kaum zu übersehen, dass Drogenhandel und organisierte Kriminalität in diesen Vierteln den Alltag dominieren. „Moulin de Mai“, der Name allein weckt bei den bewohnern von Marseille sofort Assoziationen mit Dealern und Banden, die dort das Sagen haben. Wer dort lebt, weiß, dass ein falscher Schritt – oder auch nur der falsche Zeitpunkt – das Leben kosten kann.
Eine Stadt unter Beschuss
Marseille ist eine Stadt voller Kontraste: Das historische Zentrum, das von Touristen und Einheimischen gleichermaßen geliebt wird, steht im scharfen Gegensatz zu den vernachlässigten Vierteln im Norden. Dort ist die Arbeitslosigkeit hoch, Perspektiven für junge Menschen sind oft sehr schlecht, und es mangelt an sozialer und wirtschaftlicher Unterstützung. Das führt dazu, dass Kriminalität und Drogenhandel oft als der einzige Ausweg gesehen werden.
Aber wie geht es weiter? Kann eine Stadt wie Marseille, die von so vielen sozialen Problemen geplagt ist, jemals die Oberhand über die Kriminalität gewinnen?
Polizeipräsenz allein reicht nicht aus
Die Antwort auf die Eskalation der Gewalt in den letzten Jahren war immer dieselbe: verstärkte Polizeipräsenz. Doch viele Kritiker argumentieren, dass das nicht ausreicht. Mehr Polizisten auf den Straßen verhindern vielleicht kurzfristig weitere Schießereien, doch sie bekämpfen nicht die Wurzeln des Problems.
Es braucht tiefgreifendere Maßnahmen – von Bildungsinitiativen bis hin zu Programmen, die Jugendlichen echte Alternativen bieten. Ohne langfristige Lösungen wird Marseille weiterhin zwischen Momenten der Ruhe und plötzlichen Ausbrüchen von Gewalt hin und her gerissen sein.
Und die Bewohner?
Was oft übersehen wird, ist das Schicksal der Menschen, die in diesen Vierteln leben. Für sie sind Schüsse, Polizeisirenen und Gewalt traurige Realität. Diejenigen, die es sich leisten können, ziehen weg – diejenigen, die bleiben, leben in ständiger Angst. Inzwischen wird es für Außenstehende immer schwerer, zu verstehen, wie es sich anfühlen muss, in einem Gebiet zu leben, das von kriminellen Auseinandersetzungen geprägt ist.
„Man geht raus und weiß nie, ob man zurückkommt“, sagte ein Bewohner des Viertels vor kurzem in einem Interview. Diese Worte hallen nach – denn sie sind bittere Wahrheit für viele.
Was bringt die Zukunft?
Es bleibt abzuwarten, wie die Behörden auf diese neuerliche Eskalation reagieren. Die politische und gesellschaftliche Debatte um die Ursachen der Gewalt wird sicherlich weitergehen. Aber wird sich wirklich etwas ändern?
Die jüngsten Ereignisse zeigen einmal mehr, dass es in Marseille keine einfache Lösung gibt. Soziale Maßnahmen, Polizeiarbeit und gesellschaftliches Umdenken – alles scheint notwendig zu sein, doch das Zusammenspiel dieser Faktoren bleibt schwierig. Aber eins ist sicher: Die Menschen in den betroffenen Stadtteilen dürfen nicht vergessen werden.
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