Tag & Nacht


Wenn man früh am Morgen im Perche unterwegs ist, dort wo die Hügel sanft ansteigen und sich der Nebel wie ein leicht vergesslicher Gast über die Felder legt, fühlt man sich in einer anderen Zeit. Oder zumindest in einer Zeit, die langsam genug tickt, um bemerkt zu werden. Genau dort beginnt unsere Reise – mit Hufschlägen, die rhythmisch durch die Stille hallen.

Ja, eine Kutschfahrt klingt vielleicht nach Postkartenromantik. Doch im Perche ist sie mehr als das. Sie ist ein kleines Ritual, ein Zurücklehnen, ein leises „Na los, zeigen wir mal, wie’s früher so lief“.
Und plötzlich – zack – sitzt man in einer robusten Holzcarriole, gezogen von zwei Percherons, die so majestätisch wirken, als würden sie jeden Moment mit dem Nebel selbst wetteifern.

Ein Rucken, ein Schnauben – und die Zeit verschiebt sich

Julien Fouasnon Boblet, der Kutscher mit der Heimat im Herzen, ist keiner, der große Reden schwingt. Er erzählt lieber leise, beiläufig, fast so wie jemand, der dich in ein kleines Geheimnis einweiht. Man spürt dabei sofort, dass er die Landschaft kennt, als hätte er jeden Baum einzeln begrüßt.

„Heute suchen viele wieder nach Dingen, die einfach schön sind“, sagt er irgendwann – und recht hat er. Wobei er nicht dieses „schön“ meint, das auf Sofakissen gedruckt wird, sondern das, welches einen unvermittelt trifft, wenn die Pferde plötzlich langsamer werden und eine Lichtung auftaucht, die ganz still auf dich wartet.

Ein paar Meter weiter halten die Percherons wie von selbst an. Eine Art meditative Pause. Jeder atmet tiefer ein als davor. Und ganz ehrlich: Wann gönnt man sich so etwas im Alltag?

Genau.

Zwischen Kopfsteinpflaster und kleinen Kostbarkeiten

Ein Sprung nach Bellême. Dort, wo Schaufenster nicht nur Schaufenster sind, sondern Schatztruhen. Wenn man durch die Gassen läuft, rumpeln die Pflastersteine unter den Schuhen – und man fühlt sich ein bisschen wie ein Zeitreisender.

Antiquitätenläden stehen Tür an Tür und riechen nach Möbelpolitur, Papier vergangener Jahrhunderte und winzigen Geschichten, die sich in die Maserungen alter Tische eingenistet haben.

Es ist ein Ort, an dem man nicht „shoppen“ geht, sondern stöbert – wie früher, als man noch dachte, dass hinter jeder Tür eine Überraschung stecken könnte.

Eine Stammkundin zeigt mir eine Reihe farbenfroher Barbotines, Keramikstücke aus dem 18. und 19. Jahrhundert. „Hier findet man Sets, die man sonst kaum noch findet“, sagt sie.
Und tatsächlich, sechs oder acht zusammengehörende Teller, die ein halbes Familienepos erzählen könnten – wer stolpert heute noch darüber?

25 Euro pro Stück. Kein Schnäppchen, aber ein ehrlicher Preis für etwas, das länger hält als die meisten Trends.
Und ich denke: Vielleicht liegt genau darin dieser Charme des Perche. Man sucht nicht nur, man findet auch. Wer kann das noch von vielen Orten behaupten?

Wenn der Abend kommt und die Küche glüht

Später, wenn es dunkel wird und die Laternen in Mortagne au Perche wie bernsteinfarbene Punkte in den Straßen hängen, zieht ein Duft durch die Gassen, der von weitem schon neugierig macht.

Boudin noir.

Ein Gericht, das man lieben muss, um es zu verstehen. Und wenn man es versteht, liebt man es gleich doppelt.

Vincent Biset, ein Küchenchef mit funkelndem Blick und einer Art, die einen sofort entspannen lässt, hat das klassische Rezept über Bord geworfen und ihm eine neue Seite verpasst.
Boudin mit Potimarron, Kürbis mit samtiger Süße, dazu eine Sauce aus Apfelessig Balsamico und Rosinen.

Falls Sie sich fragen: Geht das überhaupt?
Oh ja. Und wie.

Ein Kunde schwört Stein und Bein, dass es sich anfühlt, als esse man einen herzhaften Kuchen. Ein bisschen überraschend, aber nicht unangenehm.
Eine Kundin legt nach: „Der beste Boudin? Der von Mortagne!“ – sagt sie ohne Wimpernzucken.

Ein kurzer Gedanke zwischendurch

Was macht eine Region eigentlich aus?
Sind es die Häuser, die Landschaft, die Tiere, die Gerichte? Oder sind es die Menschen, die unbeirrbar an alten Traditionen festhalten und doch mutig genug sind, sie neu zu gestalten?

Vielleicht ist es die Mischung – wie bei einem guten Cidre, der spritzig, klar und trotzdem erdverbunden schmeckt.

Und dann erwischt einen dieser Moment

Als ich später mit einem frisch gekauften Teller aus Bellême in der Hand über den Marktplatz gehe, höre ich wieder Pferdehufe aus der Ferne.
Da frage ich mich plötzlich: Warum fühlt sich das alles so vertraut an, obwohl ich nicht von hier bin?
Vielleicht, weil im Perche niemand versucht, etwas zu sein. Es ist einfach, was es ist – ein ruhiger, warmherziger Landstrich, der dich nicht überredet, sondern einlädt.

Ein Landstrich, der Geschichten sammelt

Ich treffe später einen älteren Herrn vor einer Boulangerie. Seine Stimme hat dieses sanfte Knarzen, das nur Menschen haben, die viel draußen waren.
„Le Perche, c’est le calme qui bouge“, sagt er.
Ich schaue ihn fragend an.
„Die Ruhe, die sich bewegt“, wiederholt er grinsend.

Und irgendwie verstehe ich genau, was er meint.
Hier herrscht kein Stillstand. Die Dinge fließen, aber langsam – wie ein Fluss im Winter, der nicht rast, sondern gleitet.

Ein paar Minuten für sich

Bevor ich zurückfahre, setze ich mich auf eine niedrige Mauer, trinke einen Cidre und sehe zu, wie die Lichter an den Häusern ihre warmen Farben in die Nacht werfen.
Neben mir rollt ein Paar seine frisch gekauften Stühle aus einem Antiquitätenladen zur Seite.
Jemand ruft seinem Hund hinterher, der fröhlich über den Platz hopst.
Die Kirche schlägt sieben.

Und in diesem winzigen Moment denke ich:
Vielleicht sind es genau solche Abende, die das Leben zusammenhalten.

Der Perche – ein Ort für leise Entdeckungen

Wer Glück sucht, findet hier zumindest Ruhe. Und wer Ruhe sucht, findet vielleicht mehr, als er dachte.
Es ist ein Ort, der sich nicht aufdrängt, ein Ort, der dich nicht festhält, aber gern bei sich behält, wenn du bleiben möchtest.

Und wenn man dann noch den Duft von Boudin in der Nase hat, ein paar Barbotines im Kofferraum und die Erinnerung an schwere Pferdehufe in der Brust, dann nimmt man mehr mit nach Hause als Souvenirs.
Man nimmt ein Gefühl mit – das Gefühl, dass die Welt nicht überall rast.

Und ganz zum Schluss

Vielleicht stellen Sie sich gerade die Frage: Sollte man selbst einmal hinfahren?
Ich könnte jetzt eine poetische Antwort liefern, aber ehrlich gesagt – na klar!

Denn manchmal braucht es nicht viel mehr als einen Ort wie den Perche, um wieder zu spüren, wie schön einfache Dinge wirken können.

Ein Artikel von M. Legrand

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!