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Frankreich positioniert sich als neue Heimat für vertriebene Wissenschaftler. Präsident Emmanuel Macron hat Mitte April einen internationalen Aufruf gestartet, der Forscherinnen und Forscher weltweit dazu einlädt, ihre wissenschaftliche Zukunft in Frankreich und Europa zu gestalten. Die Initiative folgt auf wachsende Einschränkungen der akademischen Freiheit in anderen Weltregionen, insbesondere in den USA. Mit dem neuen Programm „Choose France for Science“ will die französische Regierung gezielt internationale Talente anziehen – und setzt damit ein strategisches Signal in einem globalen Wettbewerb um Wissen und Innovation.

Ein politischer Appell mit globaler Dimension

Am 18. April wandte sich Macron auf dem sozialen Netzwerk X mit einer klaren Botschaft an die internationale Forschungsgemeinschaft: „Hier in Frankreich ist Forschung eine Priorität, Innovation Teil unserer Kultur und Wissenschaft ein grenzenloses Ziel. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Länder, wählt Frankreich, wählt Europa!“ Dieser Aufruf ist mehr als eine rhetorische Geste. Er ist Teil eines langfristigen Plans, Frankreichs Attraktivität im internationalen Wissenschaftssystem zu stärken.

Die politische Dimension ist unübersehbar. Der Appell erfolgt in einer Zeit, in der in den Vereinigten Staaten forschungsfeindliche Tendenzen immer stärker werden. Der amtierende Präsident Donald Trump hat Fördermittel gekürzt und politischen Druck auf Universitäten erhöht, und viele dieser Maßnahmen werden nicht zurückgenommen. Zugleich sehen sich Forschende in anderen Weltregionen – etwa in China, Russland, der Türkei oder im Iran – zunehmend mit Zensur, ideologischer Einmischung oder sogar physischer Bedrohung konfrontiert. Frankreich sieht hier eine Chance, sich als liberale Alternative zu positionieren.

Die neue Plattform „Choose France for Science“

Parallel zum Appell wurde die Plattform „Choose France for Science“ lanciert. Sie wird von der französischen Forschungsagentur ANR betrieben und soll die Integration internationaler Forschender erleichtern. Französische Hochschulen und Forschungseinrichtungen können dort gemeinsam mit Partnern Projekte einreichen, um ausländische Wissenschaftler aufzunehmen. Der Staat übernimmt dabei bis zu 50 Prozent der Kosten über den strategischen Investitionsfonds „France 2030“.

Besonderer Fokus liegt auf Schlüsselbereichen wie Gesundheit, Klimawandel, Biodiversität, Künstlicher Intelligenz, Raumfahrt, nachhaltiger Landwirtschaft, kohlenstoffarmer Energie sowie digitalen Technologien. Frankreich möchte sich dadurch nicht nur als sicherer Hafen, sondern auch als wissenschaftlicher Innovationsmotor Europas etablieren – mit modernen Infrastrukturen, langfristiger Finanzierung und garantierter akademischer Freiheit.

Der geplante „wissenschaftliche Flüchtlingsstatus“

Ein bemerkenswerter Teil der Strategie ist der Vorschlag zur Schaffung eines neuen Rechtsstatus: des „réfugié scientifique“. Die Initiative geht auf den früheren Präsidenten François Hollande zurück und soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schützen, die in ihren Herkunftsländern verfolgt werden. Der Status würde ihnen nicht nur Visa-Erleichterungen verschaffen, sondern auch sozialen Schutz, Zugang zu Forschungseinrichtungen und Unterstützung bei der Integration in das französische Wissenschaftssystem.

Ein solcher Ansatz ist in Europa bislang einzigartig. Zwar gibt es Programme wie die Philipp-Schwartz-Initiative in Deutschland, doch ein gesetzlich verankerter Flüchtlingsstatus speziell für Forscher wäre ein Novum. Damit unterstreicht Frankreich seine Bereitschaft, politische Verantwortung in einer globalisierten Wissenschaftslandschaft zu übernehmen.

Wissenschaftliche Exzellenz als geopolitisches Instrument

Macrons Vorstoß ist Teil einer größeren europäischen Debatte über die Rolle der Forschung im internationalen Wettbewerb. Seit Jahren versucht die EU, ihre Abhängigkeit von außereuropäischen Technologiegiganten zu verringern, etwa durch Investitionen in Halbleiter, Quantencomputer oder nachhaltige Energiequellen. Forschung und Innovation gelten als Schlüssel zur „strategischen Autonomie“ Europas – ein Begriff, der seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine neue Dringlichkeit erhalten hat.

Frankreich will dabei eine Führungsrolle einnehmen. Die jetzige Initiative könnte es ermöglichen, das eigene Wissenschaftssystem mit frischen Impulsen zu versorgen – durch neue Perspektiven, globale Netzwerke und internationale Talente. Schon heute arbeitet fast ein Drittel der Forscherinnen und Forscher in Frankreich mit ausländischem Hintergrund. Der strukturelle Rahmen ist vorhanden, doch es bleiben Herausforderungen.

Risiken und offene Fragen

Die ehrgeizige Öffnungspolitik wirft auch kritische Fragen auf. Wie gut ist das französische Hochschulsystem auf einen deutlichen Anstieg internationaler Forschender vorbereitet? Gibt es genügend Ressourcen, Betreuungskapazitäten und integrationsfördernde Maßnahmen? Und wie lassen sich mögliche gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber einer gezielten Migration hochqualifizierter Arbeitskräfte adressieren?

Zudem besteht die Gefahr, dass Frankreich durch seine neue Rolle zwar internationale Talente anzieht, gleichzeitig aber strukturelle Schwächen im eigenen Forschungsbetrieb verdeckt bleiben – etwa bürokratische Hürden, geringe Grundfinanzierung oder die chronische Überlastung vieler Einrichtungen. Eine erfolgreiche Umsetzung der Initiative erfordert deshalb nicht nur politische Entschlossenheit, sondern auch eine enge Koordination mit Universitäten, Forschungszentren und lokalen Behörden.

Frankreich hat mit dem Aufruf Macrons und der Plattform „Choose France for Science“ einen wichtigen Schritt getan, um sich als globale Wissenschaftsnation neu zu positionieren. Wenn es gelingt, die Strategie in die Praxis zu überführen, könnte das Land zum Zentrum einer neuen Wissenschaftsmobilität werden – offen, exzellenzorientiert und widerstandsfähig gegenüber politischen Verwerfungen weltweit.

Von Andreas Brucker

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