Tag & Nacht


Der 30. Dezember hat es in sich. In der Weltgeschichte hinterließ dieses Datum wiederholt Spuren – mal tiefgreifend politisch, mal erschütternd menschlich, mal überraschend modern. Wer heute auf diesen Tag blickt, entdeckt eine bewegte Chronik, in der sich Umbrüche, Gewalt, aber auch Fortschritt widerspiegeln.

Die Geburt der Sowjetunion

Am 30. Dezember 1922 wurde mit der Gründung der UdSSR ein neues politisches System Realität – ein föderativer Staat, der bald zur zweiten Supermacht aufsteigen sollte. Russland, die Ukraine, Belarus und Transkaukasien schlossen sich zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zusammen. Was in einem Moskauer Kongresssaal begann, veränderte die Weltordnung für Jahrzehnte. Der Kalte Krieg, die Blockkonfrontation, die Teilung Europas – all das nahm hier seinen Anfang.

Was bedeutete das für Frankreich? Politisch sah sich das Land in den folgenden Jahrzehnten gezwungen, Stellung zu beziehen: zwischen transatlantischer Bündnistreue und dem Versuch, eine eigenständige Rolle in Europa zu spielen. Die sowjetische Machtprojektion war ein ständiger Referenzpunkt französischer Außenpolitik – ob unter de Gaulle oder Mitterrand.

Blut und Rebellion: Der Mord an Rasputin

Am 30. Dezember 1916 wurde Grigori Rasputin, der umstrittene Wanderprediger und Vertraute der russischen Zarenfamilie, ermordet. Seine Nähe zur Zarin Alexandra und sein Einfluss auf die Innenpolitik waren weiten Teilen des Adels ein Dorn im Auge. Sein gewaltsamer Tod – ein Giftanschlag, Schüsse, schließlich Ertränkung – wurde fast zur grotesken Legende.



Und doch markierte dieser Mord mehr als nur das Ende eines umstrittenen Beraters. Er war ein Menetekel. Kurz darauf brach das Zarenreich zusammen, und Russland versank in Revolution und Bürgerkrieg. In Frankreich verfolgte man das Geschehen mit Sorge – hatte man sich doch im Ersten Weltkrieg eng mit Russland verbündet.

Frankreichs koloniale Schatten: Algerien am Abgrund

Am 30. Dezember 1997 erschüttert ein Massaker Algerien: In einem kleinen Dorf nahe Algier werden über 400 Menschen von islamistischen Extremisten getötet. Diese Gräueltat ist einer der blutigsten Höhepunkte des algerischen Bürgerkriegs, der das Land seit Anfang der 1990er-Jahre zerriss.

Frankreich, einst Kolonialmacht in Algerien, war von diesem Konflikt nicht unberührt. Hunderttausende Algerier lebten längst in französischen Städten, und das Verhältnis zwischen den Ländern war – und ist – von gegenseitigem Misstrauen und historischem Ballast geprägt. Die blutige Nacht vom 30. Dezember 1997 war ein Mahnmal dafür, dass die Nachwirkungen des Kolonialismus nicht einfach verblassen.

Die Geburt des modernen Rechts

Springen wir zurück ins Jahr 533: Der Codex Iustinianus, Teil des Corpus Iuris Civilis, trat offiziell in Kraft. Dieses Gesetzbuch des Oströmischen Reiches bildete das Fundament für viele europäische Rechtssysteme – darunter das französische Code civil, das unter Napoleon entstand. Der Einfluss dieses römischen Rechts reicht bis in heutige Gerichtssäle.

Ein alter Text aus Byzanz – und doch spürbar im heutigen Frankreich, in jedem Mietvertrag, in jeder Erbschaftsregel, in jeder Klage.

Musik, Macht und Majestäten

Am 30. Dezember 2006 wurde Saddam Hussein hingerichtet. Der irakische Diktator war eine der umstrittensten Figuren des späten 20. Jahrhunderts. Frankreich hatte ihm einst Waffen verkauft – wie viele andere westliche Länder – und sah sich nach dem Irakkrieg 2003 mit einer neuen Lage konfrontiert. Paris hatte sich damals dem US-geführten Krieg widersetzt, was zu Spannungen mit Washington führte.

Wer erinnert sich heute noch an die Fernsehbilder der Hinrichtung? Die Szene wirkte fast surreal – ein Diktator am Galgen, in einer Zeit, in der viele Staaten längst auf zivile Lösungen setzen. Doch sie zeigte auch: Die Welt ist nicht schwarz-weiß, und Gerechtigkeit wird unterschiedlich gemessen.

Frankreichs Feiertagsstimmung? Nicht immer friedlich

Am 30. Dezember 2005 brannte im Pariser Vorort La Courneuve ein Bus – angezündet von Jugendlichen, als Ausdruck von Wut und Frust. Die Unruhen in den Banlieues waren ein Aufschrei gegen Rassismus, Perspektivlosigkeit und soziale Ausgrenzung.

Das Frankreich, das sich gern als Leuchtturm der Menschenrechte sieht, musste sich fragen lassen: Wer profitiert wirklich von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Eine rhetorische Frage, gewiss – aber keine rein akademische.

Kurios und kaum bekannt: Ein französisches Bonmot

Am 30. Dezember 1896 wird Alfred Jarrys Theaterstück „Ubu Roi“ in Paris uraufgeführt. Es beginnt mit dem berühmten Wort „Merdre!“ – ein absichtlicher Sprachverhau aus „Merde“ (Scheiße). Das Publikum ist entsetzt, das Stück wird nach einem Abend abgesetzt.

Doch Jarry wird zum Vater des absurden Theaters. Jahrzehnte später beruft sich Samuel Beckett auf ihn. Wieder so ein französisches Detail, das erst auf den zweiten Blick Weltgeschichte atmet.


Was bleibt?

Der 30. Dezember steht wie ein Brennglas über der Geschichte: Diktaturen enden, Reiche zerfallen, Gesetze entstehen, und zwischen alledem ringt die Menschheit um Ordnung und Menschlichkeit. Frankreich – mal Akteur, mal Zuschauer, mal Erbe alter Ordnungen – ist stets irgendwie Teil des Ganzen.

Vielleicht ist genau das die Lehre: Kein Datum ist bloß ein Tag im Kalender. Manchmal ist es ein Scharnier der Weltgeschichte.

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