Wenn der Himmel kein Freund mehr ist…
Manchmal genügen Minuten – und alles ist anders. Am 3. Mai 2025 tobte über Frankreich ein Unwetter, das vor allem eines zeigte: Die Natur kennt keine Gnade. In Regionen wie Madiran, der Champagne und Chablis schlugen Hagelkörner wie Fausthiebe auf die Weinberge ein. In einigen Lagen zerstörten sie binnen Sekunden das Lebenswerk ganzer Familien.
19 von 23 Hektar verwüstet – das ist die Bilanz eines einzigen Winzers. Und er war nicht der Einzige. Wie soll man sich dagegen wappnen?
Hagel wie Geschosse
3 bis 5 Zentimeter groß waren die Eisgeschosse, die auf Chablis niederprasselten. In der Marne zertrümmerte die Natur nicht nur Triebe, sondern viele Hoffnungen. In der Yonne war von einem Verlust von bis zu 80 % der Knospen die Rede. Die Rebe ist zäh – aber nicht unverwundbar.
Besonders tragisch: Der Mai ist im Weinbau eine kritische Phase. Die Knospen stehen in voller Entwicklung. Werden sie zerstört, ist die Ernte des laufenden Jahres dahin – und oft auch die Grundlage für das nächste Jahr geschädigt. Für viele bedeutet das: wirtschaftlicher Ruin.
Solidarität in der Katastrophe
Doch es gibt auch ein anderes Bild. Inder Region Madiran rückten 150 Freiwillige an, um mit Scheren und Herzblut bei der Notversorgung der Reben zu helfen. Schneller Rückschnitt, Pflege, Rettung – in der Hoffnung, dass die Pflanzen wenigstens im nächsten Jahr wieder tragen.
Was da geschah, war mehr als Hilfe – es war ein stiller Aufstand gegen die Ohnmacht. Und ein starkes Zeichen dafür, wie eng verbunden die Menschen im Weinbau sind. Trotz Konkurrenz. Trotz Kummer.
Ein System am Limit
Wenn Unwetter wie diese zuschlagen, blickt man schnell auf Versicherungen und staatliche Hilfen. Aber: Die Wirklichkeit ist ernüchternd.
Zwar gibt es mit der Indemnisation de Solidarité Nationale (ISN) einen Ausgleich für nicht versicherte Ernten. Doch er deckt meist nur einen Bruchteil der tatsächlichen Verluste. Zudem haben viele Winzer in der Vergangenheit aus Enttäuschung über niedrige Erstattungen den Versicherungsschutz gekündigt.
Eine paradoxe Situation: Wer nichts mehr erwartet, schützt sich nicht mehr – und ist dann besonders verletzlich.
Ein Klima im Wandel
Niemand kann sagen, ein solches Hagelunwetter sei ein einmaliges Phänomen. Im Gegenteil: Die Häufigkeit und Heftigkeit solcher Ereignisse nimmt zu. Der Klimawandel verändert die Spielregeln – auch für den Weinbau.
Hitze, Trockenheit, Starkregen, Frost – und eben Hagel. Es scheint, als käme jedes Jahr ein neues Extrem dazu. Der Weinbau, einst ein Symbol für Kontinuität und Handwerkskunst, wird immer mehr zur Wette gegen das Wetter.
Und jetzt?
Was bleibt, ist die Notwendigkeit zur Anpassung. Neue Rebsorten, veränderte Anbaustrategien, bessere Schutzsysteme wie Hagelnetze. Aber das alles kostet – Geld, Zeit, Know-how. Und oft fehlen die Mittel oder die politische Unterstützung.
Die Landwirtschaft steht an einem Wendepunkt. Wenn wir weiter auf Qualität und Regionalität setzen wollen, müssen wir die Betriebe gegen Klimarisiken stärken. Sonst verlieren wir mehr als Trauben – wir verlieren Kultur.
Eine Branche schreit – leise
Das Erschreckende: Die Bilder von zerfetzten Blättern, zerschlagenen Trieben und weinenden Winzern flackerten kurz durch die Medien – und verschwanden dann. Dabei geht es um Existenzen. Um Lebensmodelle. Um Identität.
Was braucht es, damit wir hinschauen?
Vielleicht diese einfache Wahrheit: Jede Flasche Wein erzählt eine Geschichte. Und in diesem Jahr ist es für viele eine Geschichte von Verlust – und trotzdem auch von Hoffnung.
Autor: MAB
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