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Mit seinem Auftritt vor der französischen Nationalversammlung hat der Ökonom Gabriel Zucman der Debatte über die steuerliche Behandlung der Superreichen neue Schubkraft verliehen. Seine Idee einer „Mindeststeuer auf Vermögen“ spaltet Politik und Fachwelt – zwischen Gerechtigkeitspathos und verfassungsrechtlichem Zweifel.

Der französische Ökonom Gabriel Zucman, bekannt für seine Arbeiten zur Steuervermeidung und fiskalischer Ungleichheit, hat in der Nationalversammlung in Paris eine Idee verteidigt, die bereits als „Zucman-Steuer“ Schlagzeilen macht: ein Mindeststeuersatz von 2 % auf das Nettovermögen für Haushalte mit mehr als 100 Millionen Euro Vermögen. Es gehe darum, „dass die Ultrareichen mindestens diesen Betrag zahlen“, so Zucman – selbst wenn ihre Steuerabgaben legal optimiert oder über verschachtelte Firmenstrukturen minimiert wurden.

Die vorgeschlagene Steuer richtet sich nicht auf Einkommen, sondern auf den Besitz. Maßgeblich ist das Verhältnis von bereits gezahlten Steuern zur geschätzten Vermögenshöhe. Liegt die effektive Belastung unter 2 %, soll ein Ausgleich fällig werden. Damit würde faktisch ein steuerliches Minimum für die obersten 0,01 % eingeführt – unabhängig davon, wie ihre Vermögensstruktur ausgestaltet ist.

Die Versprechen: Einnahmen, Gerechtigkeit, Disziplinierung

Befürworter loben Zucmans Konzept als realistischen Versuch, einer lange beklagten Ungleichheit im Steuerwesen zu begegnen. Die Maßnahme ziele auf eine kleine, aber extrem vermögende Elite – rund 1.800 Haushalte in Frankreich – und könnte für den französischen Staat laut Zucman 15 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr an zusätzlichen Einnahmen generieren.

Das eigentliche Versprechen sei jedoch politisch-moralischer Natur: „Man kann den Bürgern keine Sparmaßnahmen erklären, solange Milliardäre mit einem halben Prozent besteuert werden“, sagte Zucman laut Le Monde. Der Plan soll zugleich Steuervermeidung eindämmen, Offshore-Strukturen unattraktiver machen und durch eine fünfjährige Nachbesteuerung selbst bei Wegzug einen Anreiz bieten, nicht einfach ins Ausland zu fliehen.

Auch das Argument mangelnder Liquidität weist Zucman zurück. Die Steuer könne gestundet oder über Jahre gestreckt werden. In vergleichbaren Fällen habe sich gezeigt, dass vermögensbezogene Abgaben nicht automatisch zu Verwerfungen führten – insbesondere, wenn sie gut vorbereitet und sozial legitimiert seien.

Die Einwände: Verfassungsrecht, Bewertungsschwierigkeiten, ökonomische Risiken

Trotz seiner rhetorischen Klarheit steht der Vorschlag unter erheblichem politischem und juristischem Druck. Kritiker werfen Zucman vor, eine Idee zu verfolgen, die in der Realität weder praktikabel noch rechtlich durchsetzbar sei.

1. Konfiskatorischer Charakter?
Mehrere Juristen warnen, dass eine Steuer von 2 % auf das Bruttovermögen – insbesondere bei nicht liquiden Assets wie Beteiligungen an Familienunternehmen oder Immobilien – als konfiskatorisch gewertet werden könne. In der französischen Verfassung ist der Schutz des Eigentums hoch verankert; bereits frühere Vermögenssteuern wurden aus genau diesem Grund abgeschwächt oder abgeschafft.

2. Bewertungsprobleme
Ein weiteres Problem liegt in der objektiven Bewertung großer Vermögen, vor allem solcher, die aus privaten Gesellschaften, Trusts oder nicht notierten Aktien bestehen. Hier sind Missbrauch, Verzerrungen oder Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert – mit entsprechendem Verwaltungsaufwand.

3. Überhöhte Erwartungen
Nicht alle Ökonomen teilen Zucmans fiskalischen Optimismus. Eine Analyse mehrerer Steuerfachleute, veröffentlicht bei BFMTV, kommt zu dem Schluss, dass die Einnahmen aus der Mindeststeuer eher bei 4 bis 6 Milliarden Euro liegen dürften – ein Bruchteil der von Zucman genannten Schätzungen. Grund: Anpassungseffekte, Kapitalverlagerungen und eine reduzierte Investitionsbereitschaft.

4. Investitionsklima und Standortfaktoren
Die Banque de France äußerte sich kritisch: Eine derart gezielte Vermögensabgabe könne das Investitionsklima belasten und unternehmerische Entscheidungen verzerren. Frankreich habe ohnehin ein angespannteres Verhältnis zu Hochvermögen – eine zusätzliche Belastung könne die Kapitalflucht verstärken.

5. Politische und rechtliche Blockade
Im Juni 2025 wurde der Gesetzesvorschlag zur „Zucman-Steuer“ vom französischen Senat abgelehnt. Neben parteipolitischem Widerstand – insbesondere von der konservativen Rechten und zentristischen Fraktionen – wurde auch der verfassungsrechtliche Rahmen als unzureichend erachtet. Ob eine reformulierte Version eine Mehrheit finden kann, ist ungewiss.

6. Fundamentale Kritik am Konzept
Der ehemalige Bankmanager und Ökonom Jean Peyrelevade bezeichnete die Idee als „ideologisch und blind gegenüber der Realität von Unternehmervermögen“. Eine pauschale Vermögensgrenze sei willkürlich und ignoriere die Diversität wirtschaftlicher Lebenslagen. Zudem drohe eine Spaltung zwischen produktivem Kapital und staatlicher Umverteilung, so Peyrelevade in einem Gastbeitrag in Le Monde.

Ob Zucmans Idee tatsächlich irgendwann Gesetz wird, ist nach der Ablehnung durch den Senat fraglich. Doch bereits die Intensität der Debatte zeigt: Das Thema einer gerechteren Lastenverteilung ist in Frankreich zurück auf der Agenda – getragen von einer öffentlichen Meinung, die zunehmend sensibel auf Ungleichheit reagiert.

Die Steuer auf Ultrareiche mag in ihrer jetzigen Form zu ambitioniert sein, um unmittelbar umgesetzt zu werden. Dennoch erfüllt sie eine wichtige Funktion: Sie verschiebt die Grenzen des politisch Vorstellbaren, zwingt zur datenbasierten Auseinandersetzung mit steuerpolitischen Lücken und öffnet den Raum für tragfähigere Kompromisslösungen – etwa in Form besser ausgestalteter Erbschafts- oder Kapitalertragssteuern.

Zucman liefert damit nicht nur eine Formel, sondern einen Impuls: für eine gerechtere, transparenter gestaltete Steuerpolitik im Zeitalter der globalisierten Vermögen.

Autor: Andreas M. Brucker

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