Tag & Nacht


Manchmal reicht ein Satz.
Ein einziger Ausruf hinter der Bühne, geflüstert oder gerufen, gefilmt von irgendeinem Handy – und schon kippt ein sorgfältig gepflegtes Image. Genau das passierte Brigitte Macron. Wieder einmal.

Die Première dame Frankreichs, seit Jahren Projektionsfläche für Bewunderung, Häme, Neugier und moralische Erwartungen, stolpert über Worte, die kleben bleiben. „Sales connes.“ Zwei Wörter, die nachhallen wie ein Teller, der im stillen Salon zerschellt. Gesagt über Feministinnen, die einen Auftritt des umstrittenen Komikers Ary Abittan störten. Gesagt hinter den Kulissen der Folies Bergère. Gesagt von einer Frau, die sich selbst gern als Verbündete aller Frauen präsentiert.

Und plötzlich steht sie wieder da, Brigitte Macron – zwischen allen Stühlen.

Applaus links. Empörung rechts. Dazwischen ein großes, unbequemes Schweigen.


Wer Brigitte Macron verstehen will, muss zurückgehen. Nicht nur ins Jahr 2017, nicht nur in den Wahlkampf, sondern weiter. Nach Amiens. In die Provinz. In eine Familie, die nach Kakao riecht und nach katholischer Ordnung. Chocolatiers seit Generationen, gutes Haus, klare Regeln. Eine Welt, in der man sich kennt, beobachtet, urteilt.

Dann diese Geschichte, die längst zur modernen französischen Legende gehört. Lehrerin. Schüler. Altersunterschied von 24 Jahren. Liebe, die sich nicht um Konventionen schert. Oder sich zumindest nicht daran hält. Frankreich liebt solche Geschichten – solange sie elegant erzählt werden. Und Brigitte Macron erzählte sie lange sehr geschickt.

Sie zeigte sich selbstbewusst. Lächelnd. Unerschrocken. Neben einem Mann, der jünger war, ehrgeizig, politisch hungrig. Sie schien der lebende Beweis dafür, dass Frauen sich nehmen dürfen, was sie wollen. Auch Männer. Auch Macht. Auch Sichtbarkeit.

Eine Ikone? Vielleicht.

Oder doch nur eine Ausnahme, die die Regel bestätigt?


Am 8. März 2017, Internationaler Frauentag, steigt Brigitte Macron auf die Bühne des Théâtre Antoine. Wahlkampf. Emmanuel Macron redet über Fortschritt, über Gleichstellung, über Erneuerung. Dann sie. Mikrofon. Applaus. „Danke, Frauen“, sagt sie. Sie erzählt von Begegnungen auf der Straße. Von Ermutigung. Von Solidarität.

Ein warmer Moment. Einer dieser Augenblicke, in denen Politik plötzlich persönlich wirkt.

Damals glaubten viele: Diese Frau meint es ernst.

Sie kennt Sexismus. Sie kennt Spott. Sie kennt die Blicke. Die Schlagzeilen. Die Karikaturen. Als Charlie Hebdo sie schwanger zeichnet, protestieren Feministinnen. Ovidie meldet sich zu Wort. Misogynie, klar. Brigitte Macron schweigt nicht. Sie nickt. Sie lächelt. Sie lässt andere sprechen – und profitiert davon.

Dann kommt #MeToo. Weinstein. Die Welle rollt. Brigitte Macron klatscht bei offiziellen Anlässen. Sie vermeidet den Platz hinter ihrem Mann. In ihrem Büro steht ein Satz wie ein Manifest aus Keramik: „Je ne suis pas une potiche.“ Ich bin kein Schmuckstück.

Das klingt gut. Das klingt stark. Das klingt nach Haltung.

Aber Haltung zeigt sich nicht nur in Sätzen, sondern im Reiben mit der Wirklichkeit.


Denn da ist noch eine andere Brigitte Macron. Eine, die weniger gefeiert wird. Eine, die irritiert.

Die ehemalige Französischlehrerin, die das geschlechtsneutrale „iel“ ablehnt. Die Uniformen an Schulen befürwortet. Die ihre geliebte Arbeit 2015 aufgibt, um ganz im Projekt ihres Mannes aufzugehen. Eine Frau, die sich entscheidet – ja. Aber für ein Rollenbild, das erstaunlich vertraut wirkt.

Anne Fulda beschreibt es treffend: die aktive Frau im traditionellen Kostüm. Die moderne Figur mit den Reflexen von gestern.

Ist das Verrat? Oder einfach Biografie?

Man vergisst leicht, dass Feminismus kein einheitlicher Block ist. Dass es Generationen gibt. Brüche. Widersprüche. Kämpfe, die nicht synchron verlaufen. Brigitte Macron gehört nicht zur Instagram-Feminismus-Generation. Sie kommt aus einer Zeit, in der Frauen sich durch Anpassung Freiräume erkämpften – nicht durch Lautstärke.

Und trotzdem.

Wenn man sich als Symbol begreift – oder dazu gemacht wird – trägt man Verantwortung. Worte wiegen dann schwerer. Viel schwerer.


Die Sache mit den Gerüchten über ihre Geschlechtsidentität zeigt das besonders deutlich. Jahrelang kursieren Behauptungen in dunklen Ecken des Internets. Brigitte Macron sei trans. Eine gezielte Kampagne, sagen die einen. Ein Ausdruck tief sitzender Frauenfeindlichkeit, sagen andere.

Sie geht juristisch dagegen vor. In Frankreich. Später auch in den USA. Aus ihrer Sicht ein konsequenter Schritt im Kampf gegen Belästigung. Sie argumentiert logisch. Wer schweigt, verliert Glaubwürdigkeit.

Doch aus der LGBTQ+-Community kommt Widerspruch. Warum empört sein? Trans zu sein ist keine Beleidigung. Wer klagt, so der Vorwurf, bestätigt ungewollt das Stigma.

Ein klassischer Konflikt der Perspektiven.

Und wieder steht Brigitte Macron mittendrin. Nicht als Vermittlerin. Sondern als Beteiligte.


Dann dieser Moment hinter der Bühne. Ungefiltert. Unkontrolliert. Vielleicht im Affekt. Vielleicht aus Erschöpfung. Vielleicht aus Überzeugung. Wer weiß das schon.

„Sales connes.“

Ein Ausdruck, der nicht nur beleidigt, sondern eine Grenze überschreitet. Weil er ausgerechnet jene trifft, die kämpfen. Laut. Störend. Unbequem. Genau so, wie Feminismus oft ist.

Ironisch, oder?

Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten. Politikerinnen solidarisieren sich. Aktivistinnen erklären sich selbst zu „sales connes“. Ein kollektives Schulterzucken mit erhobener Faust. Die Worte drehen sich gegen ihre Urheberin.

Und Brigitte Macron? Schweigt. Zunächst.

Vielleicht, weil sie merkt, dass diesmal kein eleganter Ausweg wartet. Kein Vase mit flottem Spruch. Kein Applaus im Saal.


Was bleibt, ist das Bild einer Frau, die nicht in Schubladen passt. Und genau daran scheitert.

Ist sie Feministin? Ja, in Teilen.
Ist sie konservativ? Ebenfalls.
Ist sie mutig? Sicher.
Ist sie manchmal blind für die Kämpfe Jüngerer? Offenbar.

Die eigentliche Frage lautet: Muss eine Première dame Vorbild sein? Oder reicht es, Mensch zu bleiben – mit allen Brüchen?

Frankreich liebt Symbole. Marianne. Freiheit. Gleichheit. Brüderlichkeit. Und gern auch: elegante Frauen an der Seite mächtiger Männer. Brigitte Macron spielte diese Rolle lange souverän. Doch je länger sie im Rampenlicht steht, desto stärker zeigt sich die Spannung zwischen persönlicher Geschichte und politischer Erwartung.

Vielleicht ist genau das das Problem.

Man hat aus ihr etwas gemacht, das sie nie vollständig sein wollte.

Oder doch?


Feminismus lebt von Reibung. Von Streit. Von Selbstkritik. Wer dazugehören will, muss aushalten, infrage gestellt zu werden. Auch von den eigenen Leuten.

Brigitte Macron scheint diesen Preis unterschätzt zu haben.

Oder sie zahlt ihn bewusst.

Denn eines lässt sich nicht leugnen: Sie bleibt präsent. Sie bleibt wirksam. Sie bleibt umstritten. Und vielleicht ist das ehrlicher als jede glattgebügelte Solidaritätsbekundung.

Ist sie eine Frau einer anderen Generation, die Mühe hat, den Ton der Gegenwart zu treffen? Oder eine Figur, an der sich zeigt, wie komplex Emanzipation wirklich ist?

Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen. Wie so oft.

Und genau deshalb lohnt sich der Blick. Auch wenn er manchmal wehtut.

Ein Artikel von M. Legrand

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