Wie realistisch ist ein Ende des Ukrainekriegs – und zu welchem Preis?
Der Krieg in der Ukraine zieht sich mittlerweile in sein viertes Jahr – elf Jahre, wenn man den Beginn mit der Krim-Annexion 2014 ansetzt. Anfangs prägten ihn klare Prognosen: Russland werde binnen Tagen siegen, oder – im Gegennarrativ – die Ukraine halte dem Ansturm stand und siegt letztlich dank westlicher Waffenhilfe. Doch keine dieser Vorhersagen hat sich erfüllt. Stattdessen ist der Krieg längst zu einem Zermürbungskonflikt geworden. Russland rückt langsam vor, während die Ukraine mit schwindenden Ressourcen verteidigt.
Inmitten dieser verfestigten Frontlinien mehren sich diplomatische Vorstöße. Ein in Genf überarbeiteter, US-gestützter Friedensplan wurde jüngst veröffentlicht – er soll beide Seiten an den Verhandlungstisch bringen. Doch wie sehen die jeweiligen Minimal- und Maximalforderungen aus? Und wie viel politischer Spielraum bleibt beiden Regierungen?
Die roten Linien beider Seiten
Aus ukrainischer Sicht sind zwei Punkte unverhandelbar: die territoriale Integrität des Landes und glaubwürdige Sicherheitsgarantien gegen eine künftige Invasion. Zwar wurde im Frühjahr 2025 bereits informell ein Waffenstillstand entlang der bestehenden Frontlinie diskutiert – ein faktisches Eingeständnis des russischen Kontrollbereichs über große Teile der Ost- und Südukraine. Doch der Plan enthält zusätzliche Forderungen: Russland will auch jene Teile des Donezker Gebiets, die noch unter ukrainischer Kontrolle stehen. Für Kiew wäre das ein Tabubruch.
Russlands rote Linien betreffen vor allem die geopolitische Ausrichtung der Ukraine. Moskau verlangt, dass eine NATO-Mitgliedschaft nicht nur ausgeschlossen wird, sondern dauerhaft im ukrainischen Recht und den Statuten der NATO selbst verankert wird. Zudem sollen keine NATO-Truppen auf ukrainischem Boden stationiert werden. Präsident Putin benötigt überdies territoriale Gewinne, die sich innenpolitisch als Sieg präsentieren lassen.
Territoriale Kompromisse und neue Sicherheitsarchitekturen
Ein möglicher Kompromiss sieht vor, die umkämpften Gebiete im Osten als entmilitarisierte Zonen unter russischer Kontrolle zu deklarieren – ohne sie formell abzutreten. Der Gedanke dahinter: Das Gesicht wahren auf beiden Seiten. Doch dieser Vorschlag ist nur dann tragfähig, wenn er von glaubwürdigen Schutzmechanismen flankiert wird.
Was als glaubwürdig gilt, ist Gegenstand intensiver Diskussionen. Eine Möglichkeit wäre die Stationierung europäischer Truppen westlich des Dnipro – symbolisch, aber politisch bedeutsam. Alternativ steht ein sogenanntes „Tripwire-Modell“ zur Debatte: Ein militärisches Engagement des Westens wird im Falle eines erneuten Angriffs automatisch ausgelöst. Eine dritte Variante wäre ein Sicherheitsversprechen nach dem Vorbild des NATO-Artikels 5 – jedoch ohne formelle Mitgliedschaft. Ein solches Modell könnte durch bilaterale Garantien der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands gestützt werden.
Die Ukraine signalisiert inoffiziell Kompromissbereitschaft: Nicht die genaue Linie der entmilitarisierten Zone, sondern die Qualität der Schutzgarantien sei ausschlaggebend für eine langfristige Friedenslösung. Denn diese allein könnten wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftliche Stabilität wieder ermöglichen.
Innenpolitische Zwänge – und die Notwendigkeit der Inszenierung
Ein Friedensabkommen, das nicht als Sieg verkauft werden kann, ist für beide Seiten politisch toxisch. Präsident Selenskyj müsste den Ukrainern eine Lösung präsentieren, die Sicherheit ohne Kapitulation bedeutet. Schon heute lässt sich eine gewisse Akzeptanz für eine De-facto-Teilung erkennen – sofern der Westen im Gegenzug robuste Schutzgarantien leistet.
Putin wiederum benötigt eine Geschichte, die sein Narrativ der „Entnazifizierung“ und „Demilitarisierung“ bestätigt. Die formelle Kontrolle über weitere Teile des Donbas – selbst wenn sie militärisch noch nicht erobert sind – könnte als Erfolg inszeniert werden. Auch eine dauerhaft blockierte NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wäre aus Kremlsicht ein innenpolitischer Triumph.
NATO-Mitgliedschaft als schwindende Option
Interessanterweise ist der einstige Streitpunkt NATO-Erweiterung inzwischen entpolitisiert. In Kiew weiß man: Ein Beitritt ist auf absehbare Zeit ohnehin ausgeschlossen, weil mehrere NATO-Mitglieder nicht zustimmen würden. Diese realpolitische Erkenntnis könnte den Weg ebnen für eine neue Sicherheitsarchitektur – westlich genug, um Schutz zu bieten, aber fern genug von formellen Bündnistrukturen, um Moskau zu besänftigen.
Dabei kommt Europa eine entscheidende Rolle zu. Schon in anderen Konfliktzonen – etwa in Georgien – wurden EU-geführte Missionen an der Kontaktlinie zwischen russischen Truppen und ehemaligen Sowjetrepubliken stationiert. Solche zivil-militärischen Präsenzmodelle könnten in der Ukraine neu justiert werden: stärker, verbindlicher, glaubwürdiger. Voraussetzung dafür ist ein politischer Wille in Brüssel – und ausreichende Ressourcen.
Die Rolle der USA – und Trumps überraschendes Momentum
Bemerkenswert ist, wie unterschiedlich die US-amerikanische Ukrainepolitik in Kiew wahrgenommen wird. Die Biden-Administration wurde zuletzt kritisiert, weil sie militärische Hilfe zögerlich freigab, jedoch diplomatisch kaum gestaltend wirkte. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass Donald Trumps neue Friedensinitiative in ukrainischen Regierungskreisen nicht pauschal abgelehnt, sondern als potenziell konstruktiv betrachtet wird.
Die Vorstellung, dass endlich diplomatisch verhandelt wird, stößt – trotz aller Skepsis – auf Zustimmung. Selbst wenn der aktuell kursierende Friedensentwurf aus Washington nicht das letzte Wort sein sollte, markiert er doch einen strategischen Schwenk: Weg von reiner Militärhilfe, hin zu politischem Strukturdenken.
Und die Details des Plans – wie eine zukünftige Reduktion der ukrainischen Armee oder ein De-facto-Verzicht auf NATO – werden hinter verschlossenen Türen bereits als Verhandlungsmasse diskutiert.
Stabilität statt Frieden?
Für beide Seiten stellt sich am Ende dieselbe Frage: Ist Stabilität – ein eingefrorener Konflikt, militärisch kontrolliert, diplomatisch gerahmt – politisch durchsetzbar? Oder braucht es einen umfassenden Frieden, um gesellschaftliche Normalisierung zu ermöglichen?
Ein echter Friedensvertrag erscheint derzeit weit entfernt. Doch ein stabiler Waffenstillstand, gesichert durch internationale Präsenz, klare Linien und realistische Zugeständnisse, könnte die Grundlage bilden für eine Phase der Konsolidierung. Er wäre nicht das Ende des Konflikts. Aber vielleicht der Beginn einer neuen Phase: Nicht des Friedens, aber der planbaren Zukunft.
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Autor: P. Tiko
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