Tag & Nacht


Ein Restaurant, ein kurzer Clip, ein politischer Aufschrei. Manchmal reicht genau diese Mischung, um aus einer lokalen Begebenheit einen landesweiten Streit zu formen. In Vaulx en Velin, einem Vorort von Lyon, passierte genau das. Dort geriet das Restaurant Seven Times Lyon ins Kreuzfeuer einer Debatte, die weit über Tische, Stühle und Kaffeetassen hinausgeht.

Es geht um eine „100 % girls“ genannte Lounge. Also um einen Raum, den das Restaurant gezielt für Frauen anbietet. Klingt zunächst nach einer Nische, nach Marketing, nach Kundenerlebnis. Doch plötzlich tauchte ein Wort auf, das in Frankreich schwere Geschütze auffährt – Separatismus.

Und ab da nahm die Geschichte Fahrt auf.


Der Ort selbst wirkt unspektakulär. Vaulx en Velin, urban, multikulturell, kein touristischer Hotspot. Seven Times Lyonbezeichnet sich als halal Food Court, modern inszeniert, Social Media affin. Ein Influencer dreht ein Video, zeigt die Räumlichkeiten, spricht salopp über den Laden – und erwähnt dabei einen Bereich, der ausschließlich Frauen vorbehalten sei.



Ein Satz. Ein Clip. Ein paar Sekunden.

Mehr brauchte es nicht.

Auf der Plattform X meldete sich der RN Abgeordnete Jérôme Buisson zu Wort. Scharf im Ton, eindeutig in der Diagnose. Er sprach von unzulässiger Geschlechtertrennung, von einem „inakzeptablen und illegalen Separatismus“. Männer würden ausgeschlossen, die Republik herausgefordert. Er forderte die Präfektin des Rhône Départements zum Einschreiten auf.

Politik im Eiltempo.

Doch was steckt wirklich dahinter?


Der Betreiber des Restaurants, Franck, zeigte sich überrascht vom Ausmaß der Reaktionen. Kein ausgebildeter Kommunikator, kein Medienprofi. Einfach jemand, der einen Laden führt. Seine Position fiel deutlich aus.

Die Hauptfläche des Restaurants sei vollständig gemischt. Jeder könne dort essen, trinken, sich aufhalten. Der sogenannte Frauenraum stelle lediglich ein zusätzliches Angebot dar. Eine Option, kein Zwang. Frauen, die unter sich bleiben wollten, könnten das tun. Alle anderen säßen ganz normal im offenen Bereich.

Keine religiöse Vorschrift. Kein Verbot. Kein Schild mit Zugangskontrollen.

Ein Raum, mehr nicht.

Franck zog Vergleiche. Fitnessstudios mit Frauenzeiten. Wellnessbereiche. Veranstaltungen, die sich explizit an Frauen richten. Niemand rede dort von Separatismus. Warum also hier?

Eine berechtigte Frage, oder?


Die Sache gewann trotzdem weiter an Dynamik. Die Präfektur bestätigte öffentlich, dass man den Fall prüfe. Nicht im Sinne einer Vorverurteilung, sondern zur rechtlichen Einordnung. In Frankreich greift das Diskriminierungsrecht auch im privaten Raum. Wer Dienstleistungen anbietet, darf nicht willkürlich ausschließen.

Doch genau hier beginnt die Grauzone.

Ist ein freiwillig wählbarer Zusatzraum bereits Diskriminierung? Oder schlicht ein kommerzielles Angebot für eine Zielgruppe? Juristisch keine triviale Abwägung.

Politisch allerdings ein gefundenes Fressen.


Der Begriff Separatismus wirkt in Frankreich wie ein rotes Tuch. Seit dem Gesetz von 2021 zum Schutz republikanischer Prinzipien steht er für religiöse Abschottung, für Parallelgesellschaften, für eine bewusste Abkehr vom Gemeinsamen. Wer ihn benutzt, setzt ein starkes Signal – unabhängig davon, ob die Situation wirklich passt.

Genau das kritisieren viele Beobachter. Denn im Fall von Seven Times Lyon fehlt ein zentrales Element. Es gibt keine verpflichtende Trennung. Keine Norm. Keine ideologische Begründung. Keine religiöse Symbolik im Raum selbst.

Nur ein Angebot.

Marketing, nicht Mission.


Trotzdem bleibt die Frage im Raum hängen. Warum stößt so etwas auf so viel Widerstand? Vielleicht, weil die gesellschaftlichen Nerven blank liegen. Weil jede Abweichung vom Ideal der Durchmischung sofort misstrauisch beäugt wird. Oder weil Social Media die Zwischentöne frisst.

Ein Video ersetzt keine Recherche. Ein Tweet keine juristische Prüfung.

Und dennoch formt sich in Windeseile ein Narrativ.


Interessant ist auch, wie unterschiedlich ähnliche Konzepte bewertet werden. Frauenabende in Bars, Ladies Nights, reine Frauenkurse im Sport – all das existiert seit Jahren. Oft sogar gefeiert. Sobald jedoch der kulturelle Kontext wechselt, ändert sich der Blick. Plötzlich tauchen Unterstellungen auf, Verdachtsmomente, Schlagworte.

Zufall? Wohl kaum.

Die Debatte berührt damit ein tieferliegendes Problem. Die Schwierigkeit, zwischen kultureller Vielfalt und republikanischer Einheit zu unterscheiden, ohne in Reflexe zu verfallen.


Franck kündigte an, rechtliche Schritte gegen den RN Abgeordneten zu prüfen. Nicht aus Lust am Streit, sondern weil er sich falsch dargestellt fühlt. Instrumentalisiert. Zum Symbol gemacht für etwas, das er nie beabsichtigt habe.

Ein Restaurantbetreiber im politischen Sturm – wer hätte das erwartet?

Und genau hier kippt die Geschichte vom lokalen Aufreger zur gesellschaftlichen Momentaufnahme.


Denn dieser Fall erzählt weniger über einen Raum für Frauen als über das Klima, in dem solche Räume interpretiert werden. Über eine Öffentlichkeit, die schneller urteilt als zuhört. Über eine politische Sprache, die eskaliert, statt zu differenzieren.

Natürlich existieren reale Probleme rund um Geschlechtertrennung, religiösen Druck und soziale Abschottung. Niemand bestreitet das. Doch genau deshalb braucht es Präzision. Sonst trifft man die Falschen.

Oder schießt weit übers Ziel hinaus.


Ein Detail fällt dabei besonders auf. Die Kommunikation des Restaurants selbst. Der Influencer Tonfall, die saloppe Wortwahl, das „100 % girls“ Label. All das mag intern harmlos wirken, entfaltet nach außen jedoch eine andere Wirkung. Bilder sprechen lauter als Erklärungen.

Vielleicht liegt hier der eigentliche Lernmoment. In einer aufgeheizten Debattenkultur reicht es nicht, gute Absichten zu haben. Man muss sie auch verständlich vermitteln. Sonst übernimmt jemand anderes die Deutung.

Und das geschah hier.


Die Geschichte von Seven Times Lyon zeigt, wie schnell sich Fronten bilden. Wie rasch Begriffe wie Laizität und Gleichheit zu Waffen werden. Und wie schwierig es geworden ist, Zwischenräume zuzulassen.

Ein Raum nur für Frauen – ist das Rückschritt oder Schutzraum? Marketing oder Ideologie? Provokation oder Service?

Die Antwort hängt weniger vom Raum ab als vom Blickwinkel.


Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Brisanz. Nicht im Möbelplan eines Restaurants, sondern in der Art, wie wir über Zusammenleben sprechen. Wie schnell wir Komplexität reduzieren. Wie wenig Geduld für Nuancen bleibt.

Am Ende steht ein Laden in Vaulx en Velin. Und eine Debatte, die ganz Frankreich beschäftigt.

Schon verrückt, oder?


Der Fall dürfte juristisch geklärt werden. Sachlich. Nüchtern. Wahrscheinlich ohne großes Drama. Doch die Spuren im öffentlichen Diskurs bleiben. Sie erinnern daran, wie fragil das Gleichgewicht zwischen Freiheit, Gleichheit und Vielfalt ist.

Und wie leicht es kippt, wenn Worte schwerer wiegen als Fakten.

Ein Artikel von M. Legrand

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