Freitagmorgen, mitten im Indischen Ozean: La Réunion wird von Garance getroffen, einem der stärksten Wirbelstürme der letzten Jahre. Der Wind tobt, Bäume knicken um wie Streichhölzer, Dächer fliegen durch die Luft. Die Behörden hatten zuvor die höchste Warnstufe – „violett“ – ausgerufen, was bedeutet: Niemand darf das Haus verlassen, nicht einmal Rettungskräfte. Mittags wird die Warnstufe auf „rot“ herabgesetzt, doch das bedeutet nicht, dass die Gefahr vorüber ist.
Windspitzen von über 230 km/h
Wie heftig Garance wütet, zeigen die Messwerte: Am Piton Sainte-Rose erreicht der Sturm 234 km/h, am internationalen Flughafen von Saint-Denis bläst er mit 214 km/h. Das sind Geschwindigkeiten, die selbst für eine sturmerprobte Insel wie La Réunion außergewöhnlich sind.
„Die zerstörerischsten Winde entfernen sich langsam“, gibt die Präfektur bekannt. Doch Entwarnung klingt anders. Weiterhin toben Sturmböen, besonders zwischen Saint-Leu und Saint-Joseph. Hinzu kommen sintflutartige Regenfälle.
Eine Insel hält den Atem an
10 Uhr morgens: Der Sturm trifft den Norden der Insel, nahe Sainte-Suzanne. Zuvor galt Garance als „intensiver Zyklon“, mittlerweile stufen Meteorologen ihn nur noch als „tropischen Zyklon“ ein – ein schwacher Trost, wenn draußen Bäume entwurzelt werden und Häuser unter Wasser stehen.
Météo-France meldet: „Die Böen überschreiten 200 km/h. Das Auge des Zyklons bewegt sich quer über die Insel und wird voraussichtlich in wenigen Stunden über das Meer abziehen.“ Doch bis dahin bleibt die Lage kritisch.
Angst, die man hören kann
„So etwas habe ich noch nie erlebt“, erzählt Vincent Clain aus Sainte-Marie. Der 45-Jährige hat schon viele Stürme kommen und gehen sehen, doch diesmal ist es anders. „Ich hatte wirklich Angst. In unserem Garten wurden ein Kokos- und ein Litschibaum entwurzelt. Ich dachte, einer davon fällt auf unser Haus.“ Seine Familie – Frau, Sohn, Hund – sucht Schutz in der Küche. „Das ist der sicherste Raum“, sagt er.
Ähnlich geht es Aline Ethève in Sainte-Suzanne. Ihre Stimme zittert am Telefon. „Die Gartenbarriere ist weg, und die Deckenluke hebt sich immer wieder. Ich habe Angst, dass das Dach davonfliegt.“ Strom hat sie nicht mehr, Internet auch nicht.
Auf Social Media kursieren Bilder von umgestürzten Bäumen, abgedeckten Häusern und überschwemmten Straßen. Selbst die Feuerwehrwache in Saint-Benoît steht unter Wasser.
100.000 Haushalte ohne Strom, 82.000 ohne Wasser
Die Folgen des Sturms sind massiv:
- 145.000 Menschen haben keinen Strom – das sind 30 % der Haushalte auf der Insel.
- Mehr als 82.000 Menschen sind ohne Trinkwasser.
- 39.000 Abonnenten haben keinen Internetzugang.
- 675 Personen finden Schutz in Notunterkünften.
Die Behörden bleiben wachsam. Präsident Macron ruft zur Vorsicht auf: „Ich rufe unsere Landsleute auf La Réunion zur höchsten Wachsamkeit auf. Der Staat steht an eurer Seite.“
Wann wird Hilfe kommen?
Sobald das Wetter es zulässt, sollen knapp 100 Sicherheitskräfte aus Mayotte eintreffen. Auch 100 weitere Helfer aus Frankreich stehen bereit. Doch solange der Zyklon wütet, heißt es: durchhalten.
Immerhin eine gute Nachricht gibt es: Bislang wurden keine Todesopfer gemeldet. Doch wie viele Existenzen Garance zerstört hat, wird sich erst zeigen, wenn sich der Sturm endgültig verzogen hat.
Von Andreas M. B.
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