Am ersten Maiwochenende 2025 spielte das Wetter in Frankreich verrückt. Und zwar nicht nur ein bisschen. Wer zufällig in Paris unterwegs war oder auf dem Land seine Tiere versorgte, dürfte sich eher in einem Katastrophenfilm als im Frühling Europas gewähnt haben. Überschwemmte Straßen, Hagel wie Golfbälle, tote Fohlen, kollabierende Verkehrsnetze – das Chaos war fast greifbar. Was steckt dahinter? Und was lernen wir daraus?
Paris – unter Wasser, unter Hagel, unter Schock
Samstagnachmittag, 3. Mai. Eigentlich ein Tag, an dem sich Menschen auf den Frühling freuen. Doch plötzlich – der Himmel wird schwarz. Innerhalb weniger Minuten zieht ein Gewitter wie aus dem Nichts über den Westen der Île-de-France, pflügt sich durch die Vorstädte und kracht schließlich direkt über Paris nieder.
Straßen? Unpassierbar. Die Kanalisation? Überfordert. U-Bahn-Stationen laufen voll, während draußen Menschen unter Brücken Zuflucht suchen – manche mit Kinderwagen, andere mit Rollkoffern, die sie wie kleine Boote durch die Wasserfluten schieben.
Die Feuerwehr fährt 30 Einsätze. Bäume liegen quer, Keller sind voll. Und das alles in einer Metropole, die eigentlich auf alles vorbereitet sein sollte. Oder?
Ein Albtraum für Landwirte: Mayenne und das tote Fohlen
Während in Paris noch hektisch Wasser abgepumpt wird, richtet sich der Blick gen Westen – in ländlichere Gefilde. In Vautorte, einem Dorf in der Mayenne, entdeckt der Landwirt Thomas Paris sein Fohlen leblos auf der Weide. Ein Blitzschlag, sagen die Experten. Einfach so – zack, tot. Und nicht nur das: Seine Felder sind durch den Starkregen matschige Kraterlandschaften. Saatgut weggeschwemmt, Traktoren versinken im Boden wie in Treibsand.
Die wirtschaftlichen Verluste? Noch nicht absehbar. Aber man muss kein Agrarökonom sein, um zu wissen: Das tut richtig weh.
Wenn das Land absäuft: Toulouse, Lyon und die unsichtbare Bedrohung
Das war kein lokales Phänomen. Die Gewitterfront zog von West nach Ost – wie eine düstere Prozession über Toulouse, Lyon und die ländlichen Gebiete dazwischen. Immer dabei: sintflutartige Regenfälle, böiger Wind und Hagel, der Autoscheiben zerfetzte.
Was viele unterschätzen: Das sind keine „normalen“ Unwetter mehr. Die Atmosphäre speichert durch die Erderhitzung mehr Feuchtigkeit – und entlädt sie dann mit einer Gewalt, die bislang eher in tropischen Regionen erwartet wurde. Es ist, als ob das Wetter seine Zurückhaltung abgelegt hat.
Willkommen im Zeitalter der „Derechos“
Klingt wie ein Gericht auf einer spanischen Speisekarte – ist aber alles andere als appetitlich: „Derechos“. So nennen Meteorologen großflächige, geradlinige Sturmfronten mit Orkanböen. Seit einigen Jahren treten sie vermehrt auch in Frankreich auf.
Besonders eindrücklich im Gedächtnis: Korsika im August 2022. Fünf Tote, massive Schäden, landesweites Entsetzen. Und was sagen Klimaforscher? Genau diese Phänomene könnten künftig zunehmen – sowohl in Frequenz als auch in Intensität.
Ist das noch Wetter – oder schon Klima?
Die Stadt, das Land – und der große Anpassungsdruck
So ein Sturm zeigt: Alle sind betroffen. Paris mit seiner komplexen Infrastruktur. Mayenne mit seinen verletzlichen Agrarbetrieben. Die Städte im Süden, die kaum noch wissen, wie sie ihre Kanalisation anpassen sollen.
Klimaanpassung klingt in politischen Reden oft wie ein vager Begriff. Aber wenn innerhalb von 30 Minuten ein Viertel einer Großstadt im Wasser steht, wird klar: Es geht um sehr konkrete Maßnahmen. Rückhaltebecken, frühzeitige Warnsysteme, robuste Gebäude, agrarökologische Schutzmaßnahmen.
Und es geht auch um soziale Gerechtigkeit. Wer in schlecht isolierten Wohnungen lebt oder auf dem Motorrad zur Arbeit pendelt, ist ungleich stärker betroffen als andere. Klimafolgen treffen nicht alle gleich. Sie legen bestehende Ungleichheiten bloß – und vertiefen sie.
Warum noch überrascht?
Die Wahrheit ist: Diese Wetterextreme kommen nicht aus heiterem Himmel – auch wenn es oft so wirkt. Die Forschung warnt seit Jahren. Die physikalischen Grundlagen sind klar: Eine wärmere Atmosphäre enthält mehr Wasserdampf. Und mehr Wasserdampf heißt: Mehr Energie, mehr Regen, mehr Zerstörung.
Was also hält uns zurück? Warum reagieren wir immer noch so, als sei das alles ein Ausnahmefall?
Vielleicht, weil viele hoffen, dass „es schon nicht so schlimm wird“. Doch diese Hoffnung ist ein schlechter Ratgeber – vor allem, wenn die Warnsignale buchstäblich vom Himmel fallen.
Zwischen Frust und Hoffnung: Ein persönlicher Blick
Ich gebe zu: Manchmal frustriert es mich zutiefst, wie zäh die politischen Prozesse laufen. Da zeigen uns sintflutartige Regenfälle die rote Karte – und trotzdem wird weiter gestritten, ob man beim Klimaschutz nicht lieber doch noch ein paar Jahre abwarten sollte. Wie verrückt ist das bitte?
Aber ich sehe auch Lichtblicke. Gemeinden, die Flächen renaturieren. Bürgerinitiativen, die lokal handeln. Junge Menschen, die sich einmischen. Und Meteorologen, die durch bessere Modelle heute präzisere Warnungen ausgeben können als je zuvor.
Es geht was – wenn wir wollen. Doch die Zeit, in der wir noch zögern konnten, ist vorbei.
Was bleibt?
Der 3. und 4. Mai 2025 waren nicht nur stürmische Tage – sie waren ein Abbild unserer neuen Gegenwart. Eine Gegenwart, in der der Klimawandel keine Zukunftsvision mehr ist, sondern Realität. Eine Realität, die uns zwingt, umzudenken. Und neu zu handeln.
Also: Worauf warten wir noch?
Von Andreas M. Brucker
Quellen:
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