Ein Datum wie viele andere – denkt man. Doch der 19. Mai ist überraschend dicht mit Ereignissen bestückt, die Geschichte geschrieben und Weichen gestellt haben. In Frankreich, aber auch weit darüber hinaus. Vom Schafott im Tudor-England bis zu Napoleons Aufbruch ins Morgenland: Dieser Tag war nie ein stiller.
Die zweite Frau des Königs: Anne Boleyns letzter Tag (1536)
Blutige Bühne London. Am Morgen des 19. Mai 1536 wird Anne Boleyn, Ehefrau von Heinrich VIII., im Tower hingerichtet. Der König wirft ihr Ehebruch, Inzest und Hochverrat vor – eine wilde Mischung aus Machtspielen, Lügen und politischem Kalkül.
Tatsächlich ging es wohl um etwas anderes: Heinrich wollte Platz für eine neue Ehe schaffen – mit Jane Seymour. Anne war unbequem geworden. Ihre Tochter Elizabeth aber – ironischer Twist – sollte England später in ein goldenes Zeitalter führen. Wer hätte gedacht, dass aus einer so dramatischen Abrechnung eine der größten Monarchinnen Europas hervorgeht?
Frankreichs Aufstieg: Die Schlacht bei Rocroi (1643)
Früh am 19. Mai 1643, irgendwo bei einem kleinen Ort namens Rocroi: Französische Soldaten stehen einer spanischen Armee gegenüber. Was folgt, ist mehr als ein Gefecht. Es ist der Moment, in dem Frankreich Spanien die militärische Vormachtstellung in Europa entreißt. Die Truppen unter dem jungen Herzog von Enghien – dem späteren Grand Condé – besiegen die bis dahin als unbesiegbar geltenden spanischen Tercios.
Dieses Ereignis markiert den Beginn eines neuen Zeitalters europäischer Machtpolitik. Frankreich wächst zur zentralen Kraft auf dem Kontinent heran. Und es ist kein Zufall, dass dieser Sieg nur fünf Tage nach dem Tod Ludwigs XIII. erfolgt – die französische Monarchie ist bereit für einen neuen Glanz.
Napoleon und sein Orienttraum (1798)
Toulon, 19. Mai 1798. Napoleon Bonaparte sticht in See – Ziel: Ägypten. Das ehrgeizige Projekt soll den britischen Einfluss im Nahen Osten schwächen und Frankreich einen Fuß in die Tür zu Asien setzen.
Der Feldzug selbst? Militärisch eine durchwachsene Sache. Aber kulturell ein echter Coup. Mit an Bord sind Wissenschaftler, Künstler und Archäologen. Sie dokumentieren, katalogisieren, graben. Der berühmteste Fund: der Stein von Rosetta. Ohne ihn wären uns die ägyptischen Hieroglyphen wohl noch lange ein Rätsel geblieben.
Was zeigt uns das? Auch gescheiterte Feldzüge können bleibende Spuren hinterlassen – nur eben auf ganz anderen Ebenen.
Frankreichs höchste Auszeichnung: Die Ehrenlegion (1802)
Am selben Datum, nur vier Jahre später: Napoleon gründet die Ehrenlegion. Der Gedanke dahinter? Ein Orden, der nicht auf Adel, sondern auf Leistung basiert – militärisch wie zivil.
Ein radikaler Bruch mit den alten Eliten Frankreichs. Heute ist die „Légion d’honneur“ noch immer ein Symbol für Anerkennung und Verdienste. Sie trägt den Geist einer Zeit, die sich nicht mehr allein auf Geburtsrechte stützte, sondern auf Taten.
Ein junger General mit großer Zukunft (1940)
- Mai 1940 – Frankreichs Armee steckt in der Defensive. Die Wehrmacht überrennt in Blitzgeschwindigkeit den Westen. Inmitten dieser Krise wird ein gewisser Charles de Gaulle zum General befördert – mit 49 Jahren und ohne große politische Rückendeckung.
Kaum jemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass ausgerechnet dieser unbequeme Querdenker später zum Symbol des freien Frankreich wird. De Gaulle wird zur Stimme des Widerstands, zum Architekten der Fünften Republik – und zur Vaterfigur der Nachkriegsnation.
Ironie des Schicksals? Die militärische Niederlage Frankreichs legte den Grundstein für seine politische Wiedergeburt.
Technik durchbohrt die Alpen: Der Simplontunnel (1906)
Am 19. Mai 1906 öffnet sich buchstäblich ein Loch in den Alpen – der Simplontunnel wird feierlich eingeweiht. Ein Wunderwerk der Technik, das die Schweiz mit Italien verbindet. 20 Kilometer unter Fels und Stein – damals der längste Eisenbahntunnel der Welt.
Dieses Projekt ist nicht nur ein Triumph der Ingenieurskunst, sondern auch ein Symbol: Europa rückt näher zusammen. Handel, Reisen, Kommunikation – alles geht plötzlich schneller. Ein Vorbote moderner Mobilität, Jahrzehnte vor der EU.
Barcelona im Glanz der Moderne (1929)
Auch kulturell hat der 19. Mai was zu bieten. 1929 eröffnet in Barcelona die Weltausstellung – ein Schaulaufen der Nationen. Besonders in Erinnerung bleibt der deutsche Pavillon von Mies van der Rohe, der bis heute Architekturgeschichte schreibt.
Die Expo ist mehr als ein Event – sie ist ein Fenster in die Zukunft. Moderne Kunst, Design und Technik treffen aufeinander, spiegeln den Geist einer Gesellschaft im Umbruch. Und zeigen, dass Fortschritt auch ästhetisch sein darf.
Ein politischer Neuanfang: Die Ostverträge (1972)
Weniger spektakulär, aber dafür umso nachhaltiger: Am 19. Mai 1972 treten die Ostverträge der Bundesrepublik mit Polen und der Sowjetunion in Kraft. Sie besiegeln die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und setzen auf Entspannung statt Konfrontation.
Was das bedeutet? Die Bundesrepublik akzeptiert die Realität des Kalten Krieges – nicht aus Schwäche, sondern aus kluger Weitsicht. Die Verträge schaffen Vertrauen. Ohne sie wäre die spätere Wiedervereinigung kaum denkbar gewesen.
Was bleibt vom 19. Mai?
Eine bunte Mischung aus Krieg und Kunst, Macht und Menschlichkeit. Es ist ein Tag, der immer wieder den Wandel markierte – mal durch Blut, mal durch Geist, mal durch Worte.
Und vielleicht ist genau das die eigentliche Lehre: Geschichte passiert nicht nur in großen Schlachten oder prunkvollen Palästen. Sie findet auch in Verträgen, Ideen und Innovationen statt – oft unspektakulär, aber mit Langzeitwirkung.
Oder, anders gefragt: Wer hätte gedacht, dass ein Tag wie jeder andere so viel Sprengkraft in sich tragen kann?
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