„Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, dass die kommenden fünf Jahre das Schicksal allen Lebens auf der Erde bestimmen werden.“ So dramatisch beginnt der jüngste Living Planet Report des WWF, veröffentlicht am 10. Oktober 2024. Darin stellt die Umweltorganisation fest, dass die weltweiten Wildtierpopulationen im Durchschnitt um 73 % zurückgegangen sind – seit den 1970er Jahren. Dies betrifft Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien gleichermaßen. Aber was genau führt zu diesem massiven Verlust, und was bedeutet das für unsere Zukunft?
Die Ursache? Eine doppelte Krise – Klimawandel und Zerstörung der Natur – beide vom Menschen verursacht. Und wie der WWF betont, liegt die Lösung ebenso in unserer Hand. Die Zeit rennt, aber es gibt noch eine Chance, das Ruder herumzureißen, bevor der Point of no Return erreicht ist.
Ein globaler Trend – mit regionalen Unterschieden
Der WWF beobachtet die Bestände von rund 35.000 Tierpopulationen weltweit. Die Resultate sind alarmierend, jedoch regional unterschiedlich. Besonders in Lateinamerika und der Karibik sind die Zahlen erschreckend: Dort sind die Wildtierbestände um unglaubliche 95 % zurückgegangen. Der rosa Flussdelfin des Amazonas in Brasilien hat zum Beispiel zwischen 1994 und 2016 einen Rückgang von 65 % erlebt – das ist keine Kleinigkeit, oder?
Afrika folgt mit einem Rückgang von 76 %, während Asien und der Pazifikraum um 60 % schrumpfen. In Nordamerika und Europa sieht es auf den ersten Blick besser aus – hier verzeichnet der WWF Rückgänge von 35 % und 39 %. Aber der Eindruck täuscht. Diese Regionen hatten ihren dramatischen Rückgang schon vor den 1970ern, als der Index erstellt wurde. In gewisser Weise hinkt der Süden nur hinterher.
Besonders betroffen sind Süßwasserarten. Weltweit sind sie um 85 % zurückgegangen – und das sollte uns Sorgen machen, denn diese Arten spielen eine entscheidende Rolle im Ökosystem. Ist dir bewusst, wie viele unserer Seen und Flüsse fast leergefischt oder verschmutzt sind?
Bedrohte Ökosysteme am „Kipppunkt“
Noch besorgniserregender als die reinen Zahlen sind die sogenannten Kipppunkte, die der WWF im Bericht beschreibt. Diese Kipppunkte treten auf, wenn Ökosysteme eine Schwelle der Zerstörung erreichen und ab einem gewissen Punkt unwiderrufliche Schäden entstehen – eine Dynamik, die sich dann selbst verstärkt und drastische Folgen hat. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Große Barriere von Australien. Aufgrund der steigenden Meerestemperaturen und der Versauerung der Ozeane droht sie unwiederbringlich zu kollabieren. Die seltenen Meeresschildkröten, die dort leben und wichtige Funktionen übernehmen, könnten bis 2036 ausgestorben sein.
Und das ist nicht nur ein Problem für Tierliebhaber – eine Milliarde Menschen weltweit ist direkt oder indirekt auf die Korallenriffe angewiesen. Sie schützen Küsten vor Stürmen, bieten Nahrung und sichern Lebensgrundlagen. Stell dir mal vor, was das für die Menschen bedeuten würde, die in diesen Regionen leben.
Was passiert, wenn der Amazonas kippt?
Ein anderes Beispiel: der Amazonas-Regenwald. Der WWF warnt, dass dieser Regenwald möglicherweise bald seinen Kipppunkt erreicht. Würde das passieren, wären die Folgen nicht nur für die lokalen Gemeinden katastrophal, sondern auch für das globale Klima und die Nahrungsmittelversorgung. Der Amazonas speichert riesige Mengen an Kohlenstoff – eine seiner vielen Leistungen für das weltweite Klima. Sollte er in weiten Teilen absterben, würden gigantische Mengen CO2 freigesetzt, was die Erderwärmung weiter beschleunigt. Ein Dominoeffekt, der die Klimakrise massiv verschärfen würde.
Und nicht nur das: Elefanten, die im Regenwald des Gabun leben, tragen dazu bei, dass große Bäume gedeihen können, die CO2 binden. Sie sind sozusagen die Landschaftsarchitekten des Waldes. Doch die Zahl der Waldelefanten in Afrika ist zwischen 2004 und 2014 um mehr als 80 % geschrumpft, vor allem durch Wilderei. Ohne sie fehlen dem Wald die natürlichen Gärtner – und das zeigt, wie stark die Schicksale von Tieren und Ökosystemen miteinander verflochten sind.
Es gibt Lösungen – aber wir müssen jetzt handeln
Doch die gute Nachricht: Es gibt Lösungen, und einige Projekte zeigen bereits Erfolg. Die Wiederansiedlung von Arten in Europa, wie der Bison und der Krauskopfpelikan, zeigt, dass wir Teile der Natur wiederherstellen können. Auch in der Demokratischen Republik Kongo konnte eine Gorilla-Population zwischen 2010 und 2016 um 3 % jährlich wachsen, dank intensiver Schutzmaßnahmen durch lokale Gemeinschaften.
Aber das reicht nicht. Der WWF fordert, dass weltweit 30 % der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Doch aktuell sind es nur 16 % der Landflächen und 8 % der Meere. Ein ambitioniertes Ziel, keine Frage – aber auch ein notwendiges.
Wie geht das? Indem wir unser Energiesystem, unsere Landwirtschaft und unsere Finanzmärkte transformieren. Das sind keine leeren Worte. Jeder von uns spielt eine Rolle – sei es durch bewusstere Ernährung, weniger Konsum oder die Unterstützung von Naturschutzprojekten.
Biodiversität und Klimaschutz: Zwei Seiten derselben Medaille
Was oft übersehen wird: Der Kampf gegen den Klimawandel und der Schutz der Biodiversität sind eng miteinander verbunden. Wälder, Moore und andere Ökosysteme sind entscheidende Kohlenstoffspeicher. Wenn wir sie schützen, tun wir automatisch auch etwas für das Klima. Gleichzeitig hilft der Klimaschutz – etwa durch die Reduzierung der Entwaldung – der Natur. Die beiden Krisen sind also nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern müssen gemeinsam gelöst werden.
Eine verpasste Chance? Frankreich unter der Lupe
Besonders kritisch sieht der WWF die aktuellen Budgetentscheidungen in Frankreich. Statt die notwendigen Investitionen in den Naturschutz zu tätigen, werfen Politiker weiterhin Geld in veraltete, umweltschädliche Subventionen. „Es ist wie, als ob man bei einem Feuer Benzin statt Wasser hineinschüttet,“ sagt Véronique Andrieux, die Geschäftsführerin des WWF Frankreich. Ihre Metapher bringt die Frustration auf den Punkt – viele politische Entscheidungen wirken wie Rückschritte angesichts der globalen Umweltkrisen.
Was können wir tun?
Was kann der Einzelne tun? Nun, es beginnt mit kleinen Schritten: Konsumiere bewusster, reduziere deinen ökologischen Fußabdruck und informiere dich über die Auswirkungen deiner Entscheidungen. Klingt banal, oder? Aber genau hier liegt der Schlüssel. Jede Handlung zählt, und jeder Einzelne kann einen Unterschied machen – vor allem, wenn wir uns vernetzen und gemeinsam Druck auf die Politik ausüben.
Es geht nicht nur um abstrakte Ziele oder entfernte Probleme in anderen Teilen der Welt. Die Krise betrifft uns alle, jetzt und hier. Werden wir handeln? Oder in ein paar Jahrzehnten zurückblicken und uns fragen, warum wir nicht früher aufgewacht sind?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!