Tag & Nacht




Manchmal reicht ein Datum, um die Geschichte in Bewegung zu setzen. Der 9. Oktober ist so ein Tag – voller Wendepunkte, Tragödien, Geburtsstunden und mutiger Entscheidungen. Ein Datum, das durch Jahrhunderte hinweg leuchtet, von der Antike bis in unsere Gegenwart.


Frühe Anfänge – Rom, Franken und die Wiege Lyons

Im Jahr 43 v. Chr. legt Lucius Munatius Plancus auf dem Fourvière-Hügel den Grundstein für Lugdunum, das spätere Lyon. Aus dieser römischen Siedlung wächst eine Stadt, die später zu einem der pulsierendsten Zentren Frankreichs wird. Lyon ist damit so etwas wie ein lebendiges Fossil – ein Ort, an dem man die Schichten der Geschichte fast spüren kann.

Einige Jahrhunderte später, 768 n. Chr., teilen sich zwei Brüder die Macht über das Frankenreich: Karlmann I. und Karl der Große. Letzterer wird zum Sinnbild des frühen Europas. Ein Tag, der – wenn auch zufällig – den Beginn einer Ära markiert, die bis heute in den politischen und kulturellen Fundamenten Europas nachhallt.


Königliche Hochzeiten und höfische Geheimnisse

Springen wir in die Renaissance: Am 9. Oktober 1514 heiratet der französische König Ludwig XII. die junge Marie Tudor, Schwester des englischen Königs Heinrich VIII. – ein Bündnis zwischen Frankreich und England, das wie so viele dynastische Ehen eher politische als romantische Ziele verfolgt.

Etwas später, 1683, heiratet Ludwig XIV. heimlich Madame de Maintenon. Eine Liebesgeschichte am Hof des Sonnenkönigs – verborgen hinter den Kulissen der Macht. Diese Verbindung prägt nicht nur das persönliche Leben des Königs, sondern auch die Atmosphäre am französischen Hof, der unter Maintenons Einfluss zunehmend moralischer und strenger wird.


Frankreichs Wandel – Gesetze, Ideen, Menschlichkeit

Am 9. Oktober 1801 wird in Paris ein bedeutender Vertrag unterzeichnet: Frankreich und das Osmanische Reich beenden ihre Feindseligkeiten. Es ist eine diplomatische Episode, die zeigt, wie Europa versucht, nach den Napoleonischen Kriegen neu zu atmen.

Über ein Jahrhundert später, 1945, gründet Frankreich die École nationale d’administration (ENA) – jene Kaderschmiede, aus der viele Präsidenten, Minister und Spitzenbeamte hervorgehen. Wer in Frankreich von „den ENArques“ spricht, meint damit bis heute die Elite des Staates – ein Konzept, das sowohl bewundert als auch kritisiert wird.

Doch das wohl prägendste Ereignis in der französischen Geschichte des 9. Oktober ereignet sich 1981: Die Abschaffung der Todesstrafe. Unter Präsident François Mitterrand und durch den Einsatz von Justizminister Robert Badinter setzt Frankreich ein deutliches Zeichen für Humanität und Menschenrechte. Heute ist dieses Datum ein Symbol des Fortschritts – und ein Mahnmal gegen die Barbarei.


Erfindungen, Katastrophen und Aufbrüche

Auch jenseits der französischen Grenzen schreiben Menschen an diesem Tag Geschichte.

1874 gründen 22 Nationen in Bern den Allgemeinen Postverein, den späteren Weltpostverein. Ohne diese internationale Vereinbarung wäre die globale Kommunikation nie so selbstverständlich geworden, wie sie heute ist. Nicht zufällig begeht man am 9. Oktober den Welttag der Post – eine Hommage an das geschriebene Wort und die Idee des weltweiten Austauschs.

Ein paar Jahrzehnte danach, 1890, experimentiert der französische Erfinder Clément Ader mit seinem Fluggerät „Éole“. Zwar bleibt der erste Flugversuch unbeholfen – aber er ebnet den Weg für das, was später zum Triumph der Luftfahrt wird.

Dann, 1963: Italien erlebt eine der größten Katastrophen seiner Geschichte. Am Vajont-Staudamm löst ein Bergsturz eine riesige Flutwelle aus. Tausende Menschen sterben. Der Tag wird zum Sinnbild für das Scheitern menschlicher Hybris gegenüber der Natur.

Und 2012 schockiert ein Attentat die Welt: Die pakistanische Schülerin Malala Yousafzai wird auf ihrem Schulweg angeschossen, weil sie für Bildung und Frauenrechte kämpft. Sie überlebt, erhebt ihre Stimme lauter als je zuvor – und wird zur Ikone einer jungen, mutigen Generation.


Ein Tag der Symbole – und ein Blick in die Gegenwart

Der 9. Oktober ist mehr als eine Ansammlung von Daten. Er steht für Wandel, Widerspruch und Hoffnung.

Lyon erinnert uns daran, dass Städte aus römischen Fundamenten geboren und in Moderne verwandelt werden können. Die Ehe Ludwigs XII. mit Marie Tudor erzählt von Machtpolitik – und die von Ludwig XIV. mit Madame de Maintenon von der Macht der Gefühle. Die Gründung der ENA zeigt, wie wichtig Verwaltung für Demokratie sein kann, und Badinters Kampf gegen die Todesstrafe, dass Gesetze immer auch Spiegel einer Gesellschaft sind.

Und wenn man bedenkt, dass am selben Tag Malala Yousafzai für ihr Engagement fast mit dem Leben bezahlt, dann erkennt man, dass der 9. Oktober wie ein Prisma wirkt: Er bündelt Menschlichkeit, Ehrgeiz, Irrtum und Mut in einem einzigen Datum.

Vielleicht lohnt sich an diesem Tag ein kurzer Moment des Innehaltens. Nicht nur, um vergangene Ereignisse zu betrachten, sondern um zu fragen: Welche Entscheidungen, die wir heute treffen, werden einmal Geschichte sein?

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!