Mit Pauken, Trompeten und einer gehörigen Portion politischer Chuzpe hat Premierminister Sébastien Lecornu seine Amtszeit eingeläutet – mit der Ankündigung von 5.000 neuen „Maisons France Santé“ bis 2027. Ein Versprechen, das klingt wie eine heilende Antwort auf den zunehmenden Pflegenotstand, auf überfüllte Notaufnahmen, verzweifelte Landbewohner ohne Hausarzt, überarbeitete Notärzte. Doch in Wahrheit ist es ein gefährliches Blendwerk, ein populistischer Taschenspielertrick – und ein eiskalter Schlag ins Gesicht all jener, die heute schon am Limit arbeiten.
Denn was Lecornu da präsentiert, ist kein Masterplan für eine nachhaltige Gesundheitsreform, sondern ein PR-Manöver, das an Realitätsverweigerung grenzt. Die schlichte Wahrheit: Frankreich hat nicht einmal im Ansatz genug Ärztinnen und Ärzte, um diese Häuser zu füllen. Die Berufsverbände schlagen längst Alarm – MG France spricht von mindestens 10.000 fehlenden Medizinern, um auch nur den Mindestbetrieb dieser Einrichtungen zu gewährleisten. Zehn. Tausend. In einem Land, in dem Medizinstudienplätze streng rationiert und die Abwanderung junger Ärzte ins Ausland längst Realität ist.
Politischer Aktionismus statt struktureller Reform
Was Lecornu macht, ist das Äquivalent dazu, in einem brennenden Haus neue Fenster zu montieren, während das Fundament längst zerbröckelt. Der Zustand des französischen Gesundheitssystems ist seit Jahren kritisch – doch statt sich den tiefgreifenden strukturellen Problemen zu stellen, setzt die Regierung auf symbolpolitische Großprojekte mit medialem Glanz. 5.000 neue Gesundheitszentren? Das klingt gut auf dem Papier. Doch wer genau soll dort praktizieren? Die Hausärztin, die schon jetzt 80 Stunden pro Woche arbeitet? Der junge Internist, der lieber nach Kanada geht als in die Creuse?
Es wäre beinahe zynisch, wenn es nicht so traurig wäre. Denn Lecornu tut damit genau das, was Politiker in Frankreich so gerne tun: Versprechen machen, die auf Kosten derer gehen, die sie später ausbaden müssen. Die wahren Träger des Systems – die Allgemeinmediziner, Pflegekräfte, Notärzte – wurden nicht gefragt, sondern übergangen. Der Dialog mit MG France, dem wichtigsten Verband der niedergelassenen Ärzte? Schon seit Monaten unterkühlt, ja fast eingefroren. Die Regierung hat ihn systematisch beschädigt, mit Maßnahmen wie der berüchtigten „taxe lapin“ – eine politisch motivierte Strafzahlung für Patienten, die Termine nicht einhalten. Populismus auf dem Rücken des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient.
Die medizinische Realität kennt keine Dekrete
Es ist bezeichnend, dass dieses Versprechen just in Mâcon verkündet wurde – einer Stadt in Burgund, in der viele Einwohner kaum noch einen Hausarzt finden. Und genau hier zeigt sich die ganze Tragik: Nicht das Fehlen von Gebäuden ist das Problem, sondern das Fehlen von Menschen, die darin arbeiten können und wollen. Das medizinische Personal ist ausgebrannt, unterbezahlt, unter Druck – und wird gleichzeitig von der Regierung in eine Struktur gedrängt, die zentrale Steuerung vorgibt, aber keine echte Unterstützung bietet.
Dass Lecornu in dieser Situation den Eindruck erweckt, man könne das Land binnen zwei Jahren flächendeckend mit medizinischer Versorgung ausstatten, ist nicht nur unverantwortlich – es ist brandgefährlich. Denn es weckt Erwartungen bei Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die nach Jahren gesundheitspolitischer Vernachlässigung endlich wieder hoffen wollen. Und es produziert am Ende das, was das Vertrauen in den Staat am schnellsten zerstört: das Gefühl, wieder einmal belogen worden zu sein.
Gesundheitsversorgung braucht keine Ankündigungspolitik, sondern Ehrlichkeit
Es wäre an der Zeit gewesen für ein anderes Signal: Ein Eingeständnis, dass der Weg zur flächendeckenden Versorgung mühsam, lang und schmerzhaft sein wird. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie man junge Ärztinnen und Ärzte für die Arbeit in ländlichen Regionen gewinnt. Eine mutige Reform der Ausbildungskapazitäten. Eine nachhaltige Stärkung der medizinischen Grundversorgung – auch über neue Berufsbilder und echte interprofessionelle Teams.
Doch Lecornu hat sich entschieden, seinen Start in die Geschichte nicht mit einer ehrlichen Analyse, sondern mit einem möglicherweise leeren Versprechen zu markieren. In einer Zeit, in der viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben, ist das nicht nur ein Fehler – es ist ein Vergehen an der politischen Kultur. Denn Regieren heißt nicht: Schlagzeilen produzieren. Regieren heißt: Verantwortung übernehmen. Für die Realität. Für die Menschen. Und für das Machbare.
Herr Lecornu, Sie sind Premierminister der Französischen Republik – nicht Marketingleiter eines ambitionierten Start-ups. Beginnen Sie Ihre Amtszeit nicht mit einem Versprechen, das Sie nie werden halten können.
Ein Kommentar von Daniel Ivers
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