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Die französische Cour des comptes (Rechnungshof) hat in ihrem ersten Jahresbericht zur ökologischen Transition ein deutliches Urteil gefällt: Die bisherigen Anstrengungen des Landes reichen nicht aus, um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen. Mit jedem Jahr des Zögerns steigt nicht nur der ökologische, sondern auch der ökonomische Preis.

Ein Befund der Verzögerung

Die oberste Rechnungskontrollbehörde beschreibt eine „degradierte“ Umwelt- und Klimasituation: steigende Temperaturen, anhaltende Luft- und Bodenverschmutzung, Biodiversität im Rückgang. Seit 1990 sind die Treibhausgasemissionen Frankreichs zwar deutlich gesunken, doch das Tempo der Reduktion hat zuletzt spürbar nachgelassen. Damit gerät das Ziel, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, zunehmend außer Reichweite.

Das zentrale Argument der Prüfer lautet, dass der Preis des Nichthandelns langfristig deutlich höher ausfallen wird als die Kosten einer entschlossenen Umstellung. Klimabedingte Schäden wie Dürren, Überschwemmungen oder Produktivitätsverluste könnten innerhalb einer Generation das Wachstum massiv belasten.

Strukturelle Schwächen in der Steuerung

Die Cour des comptes sieht die Verantwortung vor allem in der politischen und institutionellen Umsetzung. Zwar verfügt Frankreich mit der Stratégie nationale bas carbone (SNBC) über eine verbindliche Roadmap, doch fehlt es an klaren sektoralen Zielvorgaben. Die Rolle des Secrétariat général à la planification écologique, das als Koordinationsinstanz geschaffen wurde, sei bislang zu schwach ausgestaltet, um den notwendigen Einfluss auf Ministerien und Regionen auszuüben.

Hinzu kommt die mangelnde Verzahnung zwischen ökologischer Planung und Finanzpolitik. Klimapolitische Zielsetzungen werden bislang nicht konsequent in den Haushalts- und Investitionsentscheidungen abgebildet. Gerade in Zeiten angespannter Staatsfinanzen steigt dadurch die Gefahr, dass die ökologischen Vorhaben hinter kurzfristigen fiskalischen Prioritäten zurücktreten.

Die Finanzierungsfrage

Die Regierung hat 2024 erstmals eine mehrjährige Finanzstrategie für die ökologische Transition vorgelegt. Doch bleibt sie nach Ansicht der Prüfer zu unverbindlich und wurde unzureichend in die Haushaltsplanung eingeflochten. Die Empfehlung lautet daher, die Finanzierungsstrategie künftig bereits im Frühjahr vorzulegen, sodass Parlament und Regierung sie frühzeitig in den Etat für das Folgejahr einarbeiten können.

Zugleich macht der Bericht klar, dass ein verlässlicher Finanzierungsrahmen nicht nur eine Frage des Staatshaushaltes ist, sondern auch der Glaubwürdigkeit gegenüber Investoren und Bürgern. Ohne klare und planbare Prioritäten drohen Verzögerungen bei Infrastrukturprojekten, Energieeffizienzprogrammen oder dem Ausbau erneuerbarer Energien.

Herausforderungen in den Sektoren

Besonders problematisch sind jene Bereiche, die hohe Emissionen aufweisen und nur langsam umzustellen sind:

  • Transport: Frankreich hängt immer noch zu stark vom Individualverkehr ab, während der Schienenausbau stagniert.
  • Gebäudesektor: Die energetische Sanierung von Wohnhäusern schreitet trotz Förderprogrammen nur schleppend voran.
  • Agrarwirtschaft: Die Reduktion von Methan- und Stickstoffemissionen erfordert strukturelle Veränderungen in Viehzucht und Düngereinsatz.
  • Industrie: Bestimmte energieintensive Branchen verfügen noch nicht über ausreichend ausgereifte Technologien zur Dekarbonisierung.

In allen Bereichen gilt: Je später die Transformation beginnt, desto teurer wird sie ausfallen.

Mehr Verantwortung für die Regionen

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die mangelnde Einbindung der Regionen und Kommunen. Viele Maßnahmen – vom Ausbau des Nahverkehrs über die Energieplanung bis hin zur Anpassung an den Klimawandel – werden auf lokaler Ebene umgesetzt. Ohne eine enge Verzahnung zwischen nationaler Strategie und territorialen Plänen drohen Doppelstrukturen, Ineffizienz und Verzögerungen.

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Der Bericht verdeutlicht, dass Frankreich an einem Scheideweg steht. Die ökologischen, ökonomischen und institutionellen Dimensionen der Energiewende sind untrennbar miteinander verknüpft. Der Staat muss seine Steuerungsfähigkeit stärken, die Finanzierungsstrukturen absichern und die Zusammenarbeit mit den Regionen intensivieren.

Je länger die Politik zaudert, desto höher wird der Preis – für den Staatshaushalt ebenso wie für die Gesellschaft. Die Cour des comptes formuliert es nüchtern, aber unmissverständlich: Der Übergang zur Klimaneutralität ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Der entscheidende Faktor ist die Zeit.

Autor: P. Tiko

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