Frankreich erlebt an diesem Donnerstag, dem 18. September 2025, eine dieser Mobilisierungen, die in Erinnerung bleiben werden. Schulen geschlossen, Züge gestrichen, Straßen blockiert – eine Protestwelle von seltener Wucht legt das Land lahm. Offiziell rechnen die Behörden inzwischen mit bis zu 900 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Inoffiziell ist klar: Es geht längst nicht mehr nur um zwei gestrichene Feiertage.
Ein Schulterschluss der Gewerkschaften
Acht große Gewerkschaften, die sonst oft auf unterschiedlichen Wegen marschieren, ziehen diesmal geschlossen los: CFDT, CGT, FO, CFE-CGC, CFTC, Unsa, FSU und Solidaires. Ihr Gegner ist ein gemeinsamer: das „Budget Bayrou“. Hinter dem trockenen Titel verbirgt sich ein Katalog von Sparmaßnahmen – weniger Feiertage, weniger Mittel für Schulen und Krankenhäuser, eingefrorene Sozialleistungen. Für viele klingt das nach mehr Arbeit, weniger Einkommen und sinkendem Lebensstandard.
Der neue Premierminister Sébastien Lecornu hat zu diesen Maßnahmen bisher weitgehend geschwiegen – lediglich die Streichung der 2 Feiertage will er wohl zurücknehmen. Und Schweigen kann in solchen Zeiten lauter wirken als Worte.
Alltag im Ausnahmezustand
Die Folgen werden die Menschen in Frankreich unmittelbar spüren. Wer morgen am Bahnhof steht, wird meits vergeblich auf den Zug warten. Eltern suchen kurzfristig nach Betreuungsmöglichkeiten, weil Schulen und Kitas geschlossen bleiben. In Krankenhäusern arbeiten Notdienste, geplante Eingriffe müssen verschoben werden. Selbst Apotheken schließen ihre Türen.
Der Generalstreik greift direkt in das tägliche Leben der Bewohner Frankreichs ein.
Sicherheit mit martialischem Gesicht
Das Innenministerium reagiert mit einer Sicherheitsoperation von beispiellosem Ausmaß. 80.000 Polizisten und Gendarmen sind im Einsatz, unterstützt von gepanzerten Fahrzeugen, Wasserwerfern und Hubschraubern. In Paris führt die Demoroute von der Place de la Bastille bis zur Place de la Nation. Innenminister Bruno Retailleau warnt vor dem Aufmarsch radikaler Gruppen, die den Protest nutzen könnten, um Gewalt zu provozieren.
Die Kulisse erinnert an ein Land, das sich auf eine Kraftprobe einstellt.
Ein Boden, der längst bebt
Die Proteste kommen nicht aus dem Nichts. Schon im Mai formierte sich auf den sozialen Netzwerken die Bewegung „Bloquons tout“. Ihr Name ist Programm: Blockieren statt hinnehmen. Am 10. September zogen bereits etwa 250.000 Menschen auf die Straßen. Offiziell unpolitisch, ohne direkte Parteibindung – und doch mit deutlichem Rückhalt von linken Strömungen und Teilen der Gewerkschaften.
Der aktuelle Streikaufruf knüpft an diese Dynamik an, verstärkt sie, treibt sie weiter.
Mehr als nur ein Abwehrkampf
Hinter den Transparenten steckt weit mehr als der Protest gegen einzelne Haushaltsmaßnahmen. Es geht um Kaufkraft, soziale Gerechtigkeit, den Schutz öffentlicher Dienste. Es geht um das Gefühl, nicht länger für Fehler anderer zu zahlen.
Die Gewerkschaften sprechen offen davon, einen dauerhaften Machtfaktor aufbauen zu wollen. Nicht bloß ein Aufschrei für einen Tag, sondern ein Signal, das sich in konkrete Politik übersetzt.
Was bleibt vom 18. September?
Die Frage ist so einfach gestellt wie schwer zu beantworten: Wird der Tag als kurzer Sturm in Erinnerung bleiben, der sich rasch legt? Oder wird er zum Wendepunkt, der die Regierung zum Umdenken zwingt?
Frankreich kennt solche Momente. 1995, 2010, 2019 – die Liste der großen sozialen Auseinandersetzungen ist lang. Jetzt reiht sich 2025 ein. Ob als Etappe oder Zäsur, das entscheidet sich in den kommenden Wochen.
Andreas M. Brucker
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