Tag & Nacht




Zwei Jahre nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober ist Israel ein zerrissenes Land. Der Krieg im Gazastreifen hat Zehntausende Palästinenser das Leben gekostet. Doch noch immer sind nicht alle israelischen Geiseln befreit, und das kollektive Trauma wirkt fort. Die stetig wachsende Siedlerbewegung hat die palästinensischen Hoffnungen auf einen eigenen Staat immer weiter zerstört. Der endlose Krieg hat Israel gespalten – und es ist international isolierter als je zuvor.

Ein Land im Griff des Zweifels. Und das war noch vor Beginn der jüngsten Verhandlungen zur möglichen Freilassung von Geiseln und – vielleicht – einem Ende des Krieges. Seit Beginn dieser Gespräche ist die gesellschaftliche Anspannung sogar noch größer geworden.

Israel führt Krieg gegen die Hamas. Doch es führt auch Krieg gegen sich selbst.


Zwei Traumata

Der längste Krieg in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts stellt Israels Selbstverständnis und nationales Selbstbild infrage. Nach Angaben lokaler Gesundheitsbehörden wurden fast 70.000 Palästinenser getötet. Die Zerstörung ist so umfassend, dass viele Staaten Israel des Völkermords bezichtigen. Weltweit nimmt der Antisemitismus wieder zu.

Für Palästinenser bleibt ein eigener Staat – obwohl zuletzt immer mehr Länder Palästina offiziell anerkannten – eine ferne, kaum erreichbare Hoffnung. Der ungelöste Status einer palästinensischen Staatlichkeit ist der unverrückbare Kern eines immer wieder aufflammenden Konflikts.

US-Präsident Donald Trump schlägt nun, in Missachtung jahrzehntelanger westlicher Fehlversuche im Nahen Osten, eine Art Treuhandschaft für Gaza vor. Internationale Organisationen sollen wirtschaftlichen Wohlstand schaffen – als vermeintlichen „Weg“ zum Frieden.

Doch Trumps Vorstellung, Gaza in eine Art Küstenhandelszone mit „bevorzugten Zoll- und Zugangsbedingungen“ zu verwandeln, bei gleichzeitig minimaler palästinensischer Selbstverwaltung, wirkt herablassend gegenüber der Bevölkerung und ist kaum realistisch.

Vertreibung und das Streben nach Heimat sind tief verankerte Bestandteile der verflochtenen Schicksale von Israelis und Palästinensern. Die Shoah und die Nakba von 1948 – die „Katastrophe“, bei der rund 750.000 Palästinenser während des israelischen Unabhängigkeitskriegs vertrieben wurden – konkurrieren auf den kalten Waagschalen des Opferdiskurses um moralische Deutungshoheit. Die Hamas-Attacke vom 7. Oktober und der seither tobende Krieg haben beide Seiten in ihre jeweils tiefsten historischen Traumata zurückgeworfen – und den Hass vertieft.


„Wir sehen Netanjahus Regierung als unseren Feind“

In arabischen Nachbarstaaten spricht man von einem imperialen Israel, seit Premierminister Benjamin Netanjahu Militärschläge gegen Hisbollah-Führer im Libanon und gegen das iranische Atomprogramm führte. Doch in Israel selbst ist wenig von Siegesgewissheit zu spüren.

In den Augen der Bevölkerung ist Israel mit Hamas, seinem vermeintlich schwächsten Gegner, konfrontiert – und zeigt sich erschütternd machtlos. Vielleicht, weil sich eine Idee nicht militärisch besiegen lässt. Diese Erkenntnis hat eine innere Debatte ausgelöst: Hat das Land seine moralischen Prinzipien verloren?

In Kairo fanden gestern Gespräche zwischen israelischen und Hamas-Unterhändlern über einen möglichen Austausch israelischer Geiseln gegen palästinensische Gefangene statt. Schätzungen zufolge werden derzeit noch rund 20 Geiseln sowie die Leichen von 25 weiteren in Gaza festgehalten – seit über 725 Tagen.

Zu den Entführten zählt auch Nimrod Cohen, der kürzlich 21 Jahre alt wurde. Alle paar Monate erhalten seine Mutter Vicki und ihr Ehemann Yehuda „Lebenszeichen“ über das israelische Militär.

Hunderttausende Israelis, darunter auch die Cohens, demonstrieren regelmäßig – sie fordern, dass die Regierung das Leid der Nation endlich ernst nimmt und die Befreiung der Geiseln zur obersten Priorität macht.

„Wir sehen Netanjahus Regierung als unseren Feind“, sagte Nimrods Vater der New York Times. „Er verlängert den Krieg nur, um politisch zu überleben.“

Er glaubt: Der einzige Weg, den Krieg zu beenden, sei, wenn Trump Netanjahu dazu zwingt.

Wie empfinden Israelis ihr Land heute? „Ich will nicht in einem Land leben, das über andere herrscht“, sagt Nimrods Vater. „Ich will nicht in einem Land leben, dessen internationale Grenzen nicht anerkannt sind. Ich will in einem normalen Land leben.“


Das Leid in Gaza

Mindestens einer von 34 Bewohnern des Gazastreifens wurde in diesem Krieg bisher getötet. Ganze Stadtviertel sind ausgelöscht. Familien wurden auseinandergerissen, Gemeinschaften zerstört. Die meisten Menschen in Gaza kämpfen nur noch ums nackte Überleben. Die Zukunft bleibt für sie unvorstellbar – der Krieg hat die Gesellschaft zerrüttet und entstellt.


Die kurzlebigste Regierung in der modernen Geschichte Frankreichs

Sébastien Lecornu sorgte gestern für eine große Überraschung, als er nur knapp 24 Stunden nach der Bildung seines Kabinetts als Premierminister zurücktrat. Er war nicht einmal einen Monat im Amt – damit ist seine Regierung die am kürzesten amtierende in der Geschichte der Fünften Republik.

Der Rücktritt erhöht den Druck auf Präsident Emmanuel Macron, entweder Neuwahlen für das Parlament auszurufen oder selbst zurückzutreten – Optionen, die er bislang ausgeschlossen hat. Die Märkte reagierten nervös, denn durch die Regierungskrise ist nun auch die Verabschiedung eines Haushalts zur Eindämmung des steigenden Defizits bis Jahresende gefährdet.

Kaum jemand rechnet ernsthaft mit Macrons Rücktritt – er ist auch rechtlich nicht dazu verpflichtet. Doch seine Handlungsspielräume schrumpfen, und er muss nun zwischen mehreren unangenehmen Optionen die am wenigsten schädliche wählen.


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Autor: P. Tiko

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