Tag & Nacht


Mit dem Beginn der parlamentarischen Beratungen zum französischen Staatshaushalt für 2026 startet in Paris heute um 9:00 Uhr ein politischer Kraftakt, dessen Gelingen über mehr entscheidet als nur über die Budgetzahlen des kommenden Jahres. Der vorliegende Gesetzentwurf, den Premierminister Sébastien Lecornu mit demonstrativer Ernsthaftigkeit ins Parlament eingebracht hat, steht für den Versuch, finanzpolitische Konsolidierung, politische Stabilität und gesellschaftliche Verträglichkeit unter einen zunehmend engen Hut zu bringen.

Premierminister Sebastian Lecornu hat sich entschieden, auf die Durchsetzungskraft des Verfassungsartikels 49.3 zu verzichten – jener Möglichkeit, mit der er das Gesetz am Parlament vorbei hätte durchdrücken können. In Zeiten einer fragmentierten Assemblée nationale, die von parteipolitischem Misstrauen und taktischer Blockade geprägt ist, gleicht dies einem Balanceakt auf offener Bühne. Die Botschaft: Demokratische Öffnung, ja – aber auch ein Wagnis. Denn scheitert das Vorhaben, steht nicht nur die Haushaltsarchitektur, sondern die Autorität der Regierung zur Disposition.


Konsolidierung als politische Bewährungsprobe

Der Haushaltsentwurf verlangt der französischen Gesellschaft einiges ab. Rund 30 Milliarden Euro sollen durch neue Einnahmen und Kürzungen zusammenkommen – eine Summe, die sich nicht mit kosmetischen Eingriffen erreichen lässt. So sieht der Haushaltsplan unter anderem eine Sondersteuer auf Unternehmensgewinne und hohe Einkommen vor, gekoppelt mit einem Einfrieren der Einkommensteuerschwellen und einem spürbaren Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Gleichzeitig werden bestimmte Sozialleistungen real entwertet, etwa durch die Aussetzung automatischer Inflationsanpassungen.

Bemerkenswert ist, dass zentrale Ausgabenkapitel – etwa die Verteidigung – vom Sparkurs weitgehend ausgenommen bleiben. Dies deutet auf eine strategische Prioritätensetzung hin, die sicherheitspolitische Erfordernisse höher gewichtet als kurzfristige finanzielle Erleichterung. Die Regierung scheint überzeugt: Ohne glaubwürdige sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit ist auch wirtschaftspolitische Resilienz nicht zu haben.

Doch während gewichtige fiskalpolitisch Argumente für eine Konsolidierung bestehen – Frankreichs Schuldenstand ist seit Jahren auf hohem Niveau eingefroren und die Zinslast wächst –, stellt sich die Frage nach der sozialen Akzeptanz. Schon jetzt äussert sich Unmut in Berufsgruppen, die sich als Hauptbetroffene der Sparmassnahmen sehen. Der Verzicht auf demonstrative Härte in der Kommunikation ist daher klug gewählt. Lecornus Kabinett vermeidet das Vokabular der Austerität und bemüht sich um den Eindruck einer «gelenkten Verantwortung».


Die Stunde des Parlaments – oder ein kalkuliertes Risiko?

Dass die Regierung auf das Instrument des Verfassungsparagraphen 49.3 verzichtet, ist in der französischen Verfassungspraxis keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil: Unter Präsident Macron wurde das Verfahren zum wiederholten Male genutzt, zuletzt bei der umstrittenen Rentenreform. Der Verzicht diesmal kann als Versuch gedeutet werden, Legitimität durch parlamentarische Mitwirkung zu gewinnen – ein demokratisches Signal nach innen, aber auch in Richtung Brüssel, wo Frankreichs Budgetpfade mit zunehmender Skepsis beobachtet werden.

Allerdings ist dieses Entgegenkommen nicht ohne Preis. Das Verfahren ist offen, die Zahl der eingereichten Änderungsanträge bereits in vierstelliger Höhe. Selbst aus regierungsnahen Kreisen kommen mahnende Stimmen, wonach der vorgelegte Entwurf in seiner jetzigen Form nicht durchsetzbar sei. Das lässt auf heftige Auseinandersetzungen in den kommenden Wochen schliessen – mit dem Risiko, dass zentrale Massnahmen abgeschwächt oder zerredet werden.

In dieser Gemengelage wird das Budgetverfahren zum Seismografen der politischen Kooperationsfähigkeit der V. Republik. Wenn sich keine tragfähige Mehrheit für die Eckpunkte des Entwurfs finden lässt, ist nicht nur das Gesetz gefährdet, sondern die Handlungsfähigkeit des gesamten Exekutivapparates. Lecornus Position – ohnehin ohne klare Mehrheit – wäre dann gefährdet.


Der französische Staatshaushalt 2026 ist mehr als eine fiskalische Jahresplanung. Er ist Prüfstein für die politische Standfestigkeit einer Regierung, die sich unter strukturellem Druck zwischen Schuldenbremse, sozialem Ausgleich und internationaler Glaubwürdigkeit bewegt. Gelänge es, den Entwurf im parlamentarischen Prozess nicht nur durchzubringen, sondern auch mit einer gewissen Breite des Konsenses zu versehen, wäre dies ein starkes Signal – nach innen wie nach aussen. Scheitert das Projekt jedoch an parteipolitischen Gräben oder sozialen Verwerfungen, droht Frankreich nicht nur eine neue Haushaltskrise, sondern ein weiterer Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit seiner Institutionen – und eine erneute Abwertung seiner Kreditwürdigkeit.

Autor: P. Tiko

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