Tag & Nacht


Frankreich stemmt sich gegen eine Herbststurmfront, die Meteorologen als eine der heftigsten seit Jahren einstufen. Der Name: Benjamin. Der Klang: harmlos. Die Wirkung: alles andere als das.

Neunzehn Départements stehen am Donnerstag unter oranger Wetterwarnung – wegen Sturmböen, Starkregen oder Sturmwellen an den Küsten. Besonders betroffen: die West- und Nordküsten des Landes, von der Bretagne bis zur Normandie, vom Atlantik bis zur Côte d’Azur.

Ein Sturm zieht auf

Was als Tiefdruckgebiet über den Britischen Inseln begann, hat sich in der Nacht zu Donnerstag zu einem ausgewachsenen Orkantief entwickelt. Schon beim Eintritt in den Ärmelkanal zeichnete sich ab: Diese Wetterlage könnte gefährlich werden. Météo-France warnte früh vor einem „fort coup de vent“, einem kräftigen Sturm, der sich über weite Teile des Landes ausbreiten würde.

Die Windfront erreicht inzwischen auch das Landesinnere – von der Gironde über die Auvergne bis hoch zum Pas-de-Calais. Sogar Andorra und Korsika stehen auf der Liste der betroffenen Gebiete.

Windspitzen bis zu 170 km/h

Die Zahlen sprechen für sich:
116 km/h in der Manche, 142 km/h auf der Île de Ré, 132 km/h am Cap-Ferret, 161 km/h in Fécamp. Auf dem Cap Corse peitschen Böen von bis zu 170 km/h. „Das ist kein gewöhnlicher Herbststurm“, sagen Meteorologen.

Im Landesinneren rauscht der Wind noch mit 90 bis 110 km/h über Felder, Dächer und Wälder. Die Folge: abgedeckte Häuser, entwurzelte Bäume, umgestürzte Strommasten. An den Küstenstraßen der Normandie schlagen meterhohe Wellen über die Kaimauern.

Eine „Bombe météorologique“?

Der Wetterexperte Patrick Marlière spricht gar von einer möglichen bombe météorologique – einer sogenannten Wetterbombe. Ein Begriff, der fast nach Science-Fiction klingt, aber in der Meteorologie eine klare Bedeutung hat: Es handelt sich um ein Tiefdruckgebiet, das sich innerhalb kurzer Zeit extrem schnell vertieft – mindestens 24 Hektopascal in weniger als 24 Stunden.

Das Ergebnis: ein explosionsartig wachsender Sturm mit orkanartigen Böen. „So etwas haben wir zu dieser Jahreszeit seit Jahren nicht mehr erlebt“, sagt Marlière.

Das Meer kocht

Die französische Nordseeküste ist berüchtigt für ihre tosenden Wellen, aber diesmal tobt das Wasser besonders wild. Météo-France spricht von „vagues d’Ouest à Nord-Ouest“, die über den gesamten Atlantik peitschen. Besonders gefährdet: die Seine-Maritime, wo das Meer teilweise über die Schutzdeiche steigt.

In Le Havre und Fécamp wurden bereits „paquets de mer“, Wasserpakete, beobachtet – Wellen, die so kräftig sind, dass sie über die Kais hinweg in die Straßen schlagen.

„Bleiben Sie zu Hause“

Die Behörden mahnen zur Vorsicht. „Verlassen Sie Ihr Haus nur, wenn es wirklich nötig ist“, rät Benoît Arrivé, Bürgermeister von Cherbourg-en-Cotentin. Parks und Sportanlagen sind geschlossen, Straßen abgesperrt.

Auch die Präfekturen entlang der Küsten warnen: Boote bleiben im Hafen, Fischer sollen ihre Ausfahrten verschieben. „Die See ist sehr aufgewühlt und die Winde sind eiskalt“, erklärt Guillaume Le Rasles, Sprecher des Präfekten für den Atlantik.

Im südlichen Golf von Biskaya, nahe Bayonne, werden die heftigsten Böen erwartet – dort, wo Wind und Wellen sich gegenseitig aufschaukeln.

Chaos auf den Schienen

Kaum ein Verkehrsmittel bleibt verschont. Die SNCF hat zahlreiche Regionalverbindungen gestrichen – besonders in der Normandie, in der Bretagne und im Südwesten. Ganze Linien wurden stillgelegt, Ersatzbusse gibt es vielerorts nicht.

In der Bretagne etwa fallen zwischen Rennes und Nantes zahlreiche Züge aus, auch die Strecke Brest–Quimper–Nantes ist massiv beeinträchtigt. In der Normandie spricht die Bahn gar von einem „Stop circulation“, einem kompletten Stillstand des Regionalverkehrs.

Selbst Hochgeschwindigkeitszüge sind betroffen: mehrere TGV-Verbindungen ab Paris wurden inzwischen gestrichen oder enden vorzeitig. Die Empfehlung: vor der Fahrt unbedingt die App oder Webseite befragen.

Stromausfälle im ganzen Land

Am Donnerstagvormittag sind laut Enedis über 100.000 Haushalte ohne Strom. Besonders betroffen: die Regionen Nouvelle-Aquitaine, Bourgogne-Franche-Comté und Auvergne-Rhône-Alpes. Rund 1.000 Techniker sind im Einsatz, doch Reparaturen sind oft erst möglich, wenn der Wind nachlässt.

In ländlichen Gebieten mussten Bewohner improvisieren – Taschenlampen, Kerzen, Notstromaggregate. „Das erinnert an den Sturm von 1999“, sagen manche ältere Anwohner.

Und jetzt?

Météo-France erwartet, dass sich die Lage im Laufe des Nachmittags allmählich beruhigt. Doch die Aufräumarbeiten dürften Tage dauern. Viele fragen sich: Wird der Herbst 2025 noch weitere Überraschungen bringen?

Ein Meteorologe fasst es so zusammen: „Benjamin zeigt uns, wie lebendig und unberechenbar unser Klima geworden ist.“

Oder, um es mit einem Augenzwinkern zu sagen: Dieser Benjamin hat eindeutig keine sanfte Seite.

Autor: Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!