Tag & Nacht


Wenn Emmanuel Macron an diesem Montag den ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky in Paris empfängt, geht es um weit mehr als um freundliche Gesten oder symbolische Solidaritätsbekundungen. Der französische Präsident positioniert sich – und mit ihm Frankreich – als zentraler Akteur einer europäischen Sicherheitsarchitektur, die angesichts des anhaltenden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor einer ihrer größten Belastungsproben seit dem Ende des Kalten Krieges steht.

In Zeiten wachsender Skepsis über die langfristige Entschlossenheit der USA drängt Macron auf ein europäisches Momentum. Der Empfang Zelenskys in Paris, verbunden mit konkreten militärischen und wirtschaftlichen Zusagen, ist Ausdruck eines strategischen Selbstverständnisses: Europa muss – und Frankreich will – sicherheitspolitisch auf eigenen Beinen stehen.

Sicherheitsgarant und Waffenlieferant

Der französische Beitrag zur Ukraine-Hilfe mag im Vergleich zu den milliardenschweren amerikanischen Lieferungen bislang moderat gewesen sein. Doch Macron setzt gezielt auf Qualität und Symbolkraft: Luftabwehrsysteme, Flugabwehrraketen, Drohnen – und erstmals wird offen über die mögliche Lieferung von Kampfflugzeugen vom Typ Dassault Rafale gesprochen. In Paris wird nicht mehr nur diskutiert, sondern gehandelt. Die Phase wohlklingender Erklärungen ist vorbei.

Frankreich verbindet diese militärischen Zusagen mit dem Aufbau industrieller Kapazitäten: Gemeinsame Rüstungsprojekte, französisch-ukrainische Produktionslinien, eine strategische Einbindung der Ukraine in europäische Sicherheitsstrukturen. Damit wird Paris zum Pfeiler einer neuen Verteidigungsrealität auf dem Kontinent – eine Realität, in der nationale Rüstungsindustrien wieder als strategische Ressource begriffen werden.

Diese Hinwendung zu einer offensiveren Sicherheits- und Rüstungspolitik markiert eine bemerkenswerte Wendung in der französischen Außenpolitik. Macrons früheres Lavieren – sein gescheiterter Versuch, als Vermittler zwischen Moskau und Kiew zu fungieren – hat der Präsident abgelegt. Stattdessen tritt er nun als Koordinator einer europäischen Antwort auf, die sich vom Tempo der amerikanischen Innenpolitik unabhängiger macht.

Die Geopolitik der Finanzierung

Die vielleicht umstrittenste, aber strategisch bedeutsamste Komponente dieser europäischen Antwort liegt im Umgang mit eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Während juristische Bedenken und fiskalische Zurückhaltung in einigen Hauptstädten Europas dominieren, macht sich Frankreich für eine rasche Nutzung dieser Gelder zur Finanzierung ukrainischer Bedürfnisse stark.

Es geht dabei nicht nur um Milliardenbeträge, sondern um das politische Signal: Wer Aggression sät, soll zur Kasse gebeten werden – ohne dass die europäischen Steuerzahler dauerhaft allein für die Folgekosten aufkommen. Diese Haltung trifft einen Nerv, gerade in einem Umfeld wachsender haushaltspolitischer Spannungen. Macron setzt damit auch auf innenpolitische Rückendeckung, denn die Unterstützung der Ukraine muss vor dem Hintergrund französischer Budgetdebatten und einer zunehmend polarisierenden Gesellschaft politisch vermittelt werden.

Die Debatte über die Verwendung russischer Zentralbankgelder offenbart zugleich die Fragilität der europäischen Entscheidungsprozesse. Die EU als Ganzes hat bislang keine einheitliche Linie gefunden, während einzelne Mitgliedstaaten – darunter Frankreich – voranschreiten. Der Elysée-Palast sieht sich hier nicht zum ersten Mal in der Rolle des Vorreiters. Doch je unübersichtlicher die Lage in Brüssel, desto größer der Anreiz für bilaterale Lösungen – mit allen Risiken für die Kohärenz europäischer Politik.

Frankreichs strategischer Anspruch

Macrons Diplomatie lebt von Inszenierung – doch diesmal scheint mehr Substanz hinter der Bühne zu stecken. Das Treffen mit Zelensky reiht sich ein in eine Serie französischer Initiativen, die Frankreichs Führungsanspruch in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik untermauern sollen. Dazu gehört nicht zuletzt die Idee einer „Koalition der Willigen“ zur Unterstützung der Ukraine, etwa im Bereich der Artillerieproduktion oder der Luftverteidigung.

Frankreich beansprucht eine Führungsrolle, die nicht nur auf symbolischer Solidarität, sondern auf realpolitischer Durchsetzungsfähigkeit basiert. Damit stellt sich Paris explizit gegen das Zögern und Zaudern mancher europäischer Partner, aber auch gegen den sicherheitspolitischen Rückzug der Vereinigten Staaten, wie er sich in Teilen des republikanischen Lagers abzeichnet.

Für die Ukraine bietet das Treffen mit Macron eine Bühne und ein Versprechen: Paris will nicht nur Partner, sondern strategischer Garant sein – militärisch, wirtschaftlich und politisch. Für Macron wiederum ist das Treffen mit Zelensky ein Baustein seiner Vision eines souveränen Europas, das sich aus der sicherheitspolitischen Komfortzone emanzipiert.

Doch der Preis dieser Ambition ist hoch. Der französische Präsident muss nicht nur gegenüber seinen europäischen Partnern überzeugen, sondern auch im eigenen Land – angesichts sozialer Spannungen, wachsender Verschuldung und politischer Polarisierung. Ob sich die französische Öffentlichkeit langfristig hinter eine Sicherheitsstrategie stellt, deren Nutzen kurzfristig kaum spürbar ist, bleibt offen.

Die geopolitische Bühne jedenfalls ist bereitet. Und Frankreich hat sie für diesen Montag in Paris bewusst ins Rampenlicht gerückt.

Von Andreas Brucker

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