Tag & Nacht


Emmanuel Macron hat China erneut besucht – zum vierten Mal seit Beginn seiner Präsidentschaft 2017. Drei Tage lang, vom 3. bis 5. Dezember 2025, reist er durch Peking, begleitet von einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation. Dass der französische Präsident inmitten geopolitischer Spannungen, wirtschaftlicher Disparitäten und wachsender globaler Unsicherheiten erneut den Schulterschluss mit Xi Jinping sucht, unterstreicht den Versuch einer politischen wie ökonomischen Neuausrichtung. Die Visite lässt sich als bewusster Balanceakt lesen: zwischen diplomatischer Öffnung, wirtschaftlichem Pragmatismus und geopolitischer Vorsicht.

Jenseits der Differenzen – auf der Suche nach einem neuen Modus Vivendi

Im Zentrum von Macrons Ansprache in Peking stand der Appell, bestehende Differenzen nicht zu kaschieren, sondern sie offen zu benennen und gleichzeitig konstruktiv zu überwinden. Frankreich und China, so Macron, teilten zahlreiche Interessen, aber eben auch grundlegende Unterschiede – in Wirtschaftsfragen, bei internationalen Normen oder im Umgang mit globalen Krisen. Umso wichtiger sei es, multilaterale Kooperationsmechanismen zu schaffen, die ein effektives Konfliktmanagement erlauben und nicht in ideologische Blockaden verfallen.

Macron schlug einen kooperativen Multilateralismus vor, der auf Regeln basiert und sowohl den G7-Staaten als auch Mächten wie China eine verantwortungsvolle Rolle zuschreibt. Dabei betonte er die Notwendigkeit einer besseren wirtschaftlichen Balance – ein klarer Seitenhieb auf das strukturelle Handelsdefizit Europas gegenüber China. „Gegenseitige Investitionen“ sollen helfen, den Kapitalfluss zu diversifizieren, Abhängigkeiten zu reduzieren und neue Impulse für europäische Industrien zu schaffen.

Wirtschaftlicher Pragmatismus trifft geopolitische Realität

Der ökonomische Fokus der Reise war unübersehbar: Macron wurde von rund 35 Wirtschaftsführern begleitet, darunter Vertreter von Airbus, EDF, Danone sowie mittelständische Unternehmen aus der Luxus- und Lebensmittelbranche. Mehrere Verträge, insbesondere im Bereich Luftfahrt, Energie und nachhaltige Technologie, standen zur Unterzeichnung an. Paris setzt damit auf eine partnerschaftliche Vertiefung, will aber zugleich den einseitigen Charakter der Handelsbeziehungen reformieren.

Frankreich verfolgt in diesem Zusammenhang eine Doppelstrategie: Einerseits soll China als Investitionsstandort attraktiv bleiben, andererseits werden wirtschaftspolitische Selbstbehauptung und technologische Souveränität – gerade in strategischen Sektoren – betont. Die französische Industrie, die ihre Abhängigkeit von chinesischen Seltenen Erden und Komponenten schrittweise abbauen möchte, sieht in gezielten bilateralen Investitionen ein mögliches Instrument zur Risikostreuung.

Chinas vorsichtige Öffnung – ohne politische Zugeständnisse

Xi Jinping signalisierte Kooperationsbereitschaft, unterstrich jedoch zugleich, dass China externe „Einmischungen“ zurückweise und die Eigenständigkeit seines Entwicklungsmodells verteidige. Die freundliche Rhetorik über eine „stabile strategische Partnerschaft“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pekings politische Grundhaltung gegenüber Europa weiterhin von Skepsis geprägt ist.

Auch wenn Xi Macron mit großer symbolischer Geste empfing – inklusive Empfang im Großen Palast des Volkes und privatem Austausch – blieb eine kritische Auseinandersetzung mit strittigen Themen wie Menschenrechten, Technologietransfer oder Subventionspolitik öffentlich weitgehend ausgeklammert. Das diplomatische Ritual dominierte, nicht die offene Konfrontation.

Ukraine, globale Ordnung und Chinas ambivalente Rolle

Ein zentrales Thema der Gespräche war der Krieg in der Ukraine. Macron betonte, dass die Rolle Chinas bei der Suche nach einer Lösung „entscheidend“ sei. Paris setzt darauf, dass Peking – trotz seiner Nähe zu Moskau – als Vermittler auftreten könnte, um eine Eskalation zu verhindern. Doch diese Hoffnung steht auf wackligem Fundament: China hat die russische Invasion nie verurteilt, kauft weiterhin große Mengen russischer Energieträger und wird von westlichen Geheimdiensten verdächtigt, dual-use-Komponenten nach Russland zu liefern.

Macrons Plädoyer für eine regelbasierte Weltordnung zielt letztlich auf eine tiefere Frage: Ist China bereit, Mitverantwortung für die Stabilität des internationalen Systems zu übernehmen, oder verfolgt es primär nationale Interessen in einem multipolaren Machtgefüge? Der französische Präsident warnt offen vor einer „Desintegration“ der Weltordnung – und versucht, durch Dialog diesem Trend entgegenzuwirken.

Europas strategische Rolle – und Frankreichs Anspruch auf Führerschaft

Macrons Chinareise ist auch vor dem Hintergrund europäischer Selbstfindung zu lesen. Während sich die EU zunehmend mit protektionistischen Reflexen, industriepolitischen Ambitionen und geopolitischen Spannungen konfrontiert sieht, reklamiert Frankreich eine vermittelnde, gestaltende Rolle. Die Botschaft: Europa soll weder Vasall Washingtons noch Spielball Pekings sein, sondern ein selbstbewusster, regelsetzender Akteur mit eigenen Interessen.

Paris präsentiert sich als Architekt einer eigenständigen Europapolitik gegenüber China – nicht durch Konfrontation, sondern durch kritische Kooperation. Der französische Präsident sieht in Peking keine ideologische Antithese, sondern einen Machtpol, mit dem Europa umgehen lernen muss.

Die Visite in Peking ist somit mehr als ein wirtschaftsdiplomatisches Ritual. Sie ist Ausdruck einer strategischen Justierung: eines Europas, das aus den geopolitischen Erschütterungen der letzten Jahre Lehren zieht – und eines Frankreichs, das bereit ist, dabei voranzugehen.

P.T.

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