An diesem Dezembermorgen liegt der Champ-de-Mars still da, fast ehrfürchtig, wie so oft, wenn Paris sich seiner selbst vergewissert. Und doch wird der Rasen vor dem Eiffelturm am 11. Dezember 2025 zur Bühne eines politischen Schauspiels, das kaum deutlicher ausfallen könnte. Greenpeace, Action Justice Climat Paris und ANV-COP21 rollen ein 300 Quadratmeter großes Banner aus – größer als viele Appartements in Paris, größer auch als die Geduld vieler Klimaaktivisten. Darauf: Gesichter, Namen, eine Botschaft. „10 ans de sabotage climatique.“ Zehn Jahre Klimasabotage.
Die Aktion ist bewusst gewählt, zeitlich wie räumlich. Einen Tag vor dem zehnten Jahrestag des Pariser Klimaabkommens, jenes historischen Vertrags vom 12. Dezember 2015, der einst als Wendepunkt der internationalen Klimapolitik gefeiert wurde. Damals, nach nächtelangen Verhandlungen, Applaus, Tränen, Umarmungen. Heute, zehn Jahre später, ist von dieser Euphorie wenig übrig. Stattdessen ein Banner, das anklagt. Und ein symbolischer Ort, der kein Wegsehen erlaubt.
Auf der riesigen Plane prangen die Porträts von Emmanuel Macron, Donald Trump und Vincent Bolloré. Ein amtierender französischer Präsident, ein ehemaliger – und wieder amtierender – US-Präsident, ein einflussreicher französischer Industrieller. Unterschiedliche Biografien, unterschiedliche Machtpositionen, doch aus Sicht der NGOs vereint durch eines: den Vorwurf, das Pariser Abkommen unterlaufen, verwässert oder aktiv sabotiert zu haben. Nicht mit einem einzigen Gesetz, nicht mit einem großen Knall, sondern Schritt für Schritt, Entscheidung für Entscheidung.
Das Pariser Abkommen hatte ein klares Ziel formuliert: die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Ein politischer Kompromiss, wissenschaftlich untermauert, moralisch aufgeladen. Doch bei der COP30 im November hatte der Präsident des Weltklimarates IPCC ausgesprochen, was viele längst befürchteten. Das Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze gilt inzwischen als fast unvermeidlich. Ein Satz, der sitzt. Und der wie ein Nachhall über den Champ-de-Mars zieht.
Greenpeace findet deutliche Worte. Das Klima gerate außer Kontrolle, heißt es im gemeinsamen Kommuniqué, wegen der Schwäche und Verantwortungslosigkeit politischer Entscheidungsträger. Ein Satz, der weniger analysiert als urteilt, nicht diplomatisch ist, sondern anklagend. Die NGOs sprechen von politischen Eliten, die den Verlockungen mächtiger privater Interessen erlegen seien – auf Kosten des Gemeinwohls, der Klimagerechtigkeit und jener Bevölkerungen, die die Folgen der Klimakrise längst am eigenen Leib spüren. Überschwemmungen, Hitzewellen, Ernteausfälle. Keine abstrakten Szenarien mehr, sondern bitterer Alltag.
Der Vorwurf wiegt schwer, gerade in Frankreich. Emmanuel Macron hatte sich in seiner ersten Amtszeit gern als Klimapräsident inszeniert, als globaler Mahner, als Gastgeber des „Make Our Planet Great Again“-Gipfels. Doch zwischen ambitionierten Reden und konkreter Politik klafft, so die Kritiker, eine Lücke. Autobahnprojekte, Agrarsubventionen, eine oft zögerliche Energiewende – all das dient den NGOs als Beleg dafür, dass Worte allein das Thermometer nicht senken.
Donald Trump steht als Symbolfigur für offenen Klimaskeptizismus. Der erneute Ausstieg der USA aus zentralen Klimaverpflichtungen, die Förderung fossiler Energien, die Abkehr von multilateralen Lösungen. Sein Gesicht auf dem Banner überrascht kaum, es war zu erwarten. Und doch erinnert es daran, wie stark nationale Entscheidungen globale Dynamiken prägen. Wenn Washington bremst, geraten viele andere ins Schlingern.
Der Name Vincent Bolloré schließlich steht für eine andere Art von Einfluss. Medienmacht, wirtschaftliche Interessen, politische Nähe. Kein gewählter Amtsträger, aber ein Akteur, dessen Entscheidungen, so der Vorwurf, politische Diskurse verschieben, Zweifel säen, Klimaschutz relativieren. In dieser Logik gehört auch er auf das Banner, als Vertreter jener Grauzone zwischen Wirtschaft und Politik, in der Verantwortung oft diffus bleibt.
Die Aktion selbst verläuft ruhig. Keine Rangeleien, keine Festnahmen, keine Sprechchöre. Nur das Banner, der Blick der Passanten, das Klicken der Kameras. Manche bleiben stehen, lesen, runzeln die Stirn. Andere gehen weiter, mit hochgezogenem Kragen, als sei es nur ein weiteres Pariser Spektakel. Doch die Bilder verbreiten sich schnell. Und genau darauf zielt die Inszenierung ab.
Zehn Jahre nach Paris wirkt das Klimaabkommen wie ein Vertrag mit Patina. Juristisch weiterhin gültig, politisch beschworen, praktisch jedoch unter permanentem Druck. Die Lücke zwischen Versprechen und Wirklichkeit ist größer geworden. Die Emissionen sinken nicht, sie steigen weiter, die nationalen Klimapläne reichen nicht aus, die Zeitfenster schließen sich. Das wissen die Aktivisten, das wissen die Wissenschaftler, das wissen auch die Regierungen. Und dennoch passiert zu wenig.
Vielleicht ist das Banner deshalb so groß geraten. Weil kleine Gesten nicht mehr reichen. Weil höfliche Appelle verhallt sind. Weil die Geduld schwindet. Auf dem Champ-de-Mars, wo sonst Touristen picknicken und Kinder Drachen steigen lassen, liegt an diesem Tag ein Stück unbequeme Wahrheit. Nicht endgültig, nicht widerspruchsfrei, aber unübersehbar.
Die Frage bleibt, was davon hängen bleibt. Empörung verpufft schnell, Symbole nutzen sich ab. Doch der Jahrestag des Pariser Abkommens zwingt zur Bilanz. Zehn Jahre, die zeigen, wie schwer globale Zusammenarbeit fällt, wenn nationale Interessen, wirtschaftlicher Druck und politische Kurzsichtigkeit dominieren. Zehn Jahre, in denen die Uhr weitergetickt hat. Unerbittlich.
Der Champ-de-Mars leert sich am Nachmittag wieder. Das Banner wird eingerollt, der Rasen bleibt zurück. Doch die Anklage steht im Raum. Und sie richtet sich nicht nur an die Gesichter auf der Plane, sondern an ein System, das Veränderung kennt, aber zögert. Wer genau hinschaut, erkennt: Das war keine bloße Protestaktion. Das war ein Spiegel.
Von Andreas M. Brucker
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