Manchmal reicht ein kurzer Blick in den Wald, um zu verstehen, warum ein Infrastrukturprojekt zum politischen Reizthema wird.
Bei Nieul, einer Gemeinde im Département Haute-Vienne, liegen gefällte Baumstämme wie Mikadostäbchen am Waldboden. Hunderte, vielleicht tausende Bäume. Der Anfang eines Bauvorhabens, das bereits vor dem ersten Spatenstich für Aufsehen sorgt – und für Widerspruch.
Geplant ist eine neue vierspurige Straße, 2×2 Fahrstreifen, etwas mehr als sechs Kilometer lang. Kostenpunkt: 132 Millionen Euro. Umgerechnet über 20 Millionen Euro pro Kilometer. In Fachkreisen kursiert bereits eine zugespitzte Formel: der teuerste Straßenabschnitt Frankreichs.
Für die Gegner des Projekts ist diese Rechnung mehr als ein Zahlenspiel. Sie steht sinnbildlich für einen aus der Zeit gefallenen Umgang mit Raum, Natur und öffentlichen Mitteln. Für die Befürworter hingegen markiert sie den Preis für Sicherheit auf einer der unfallträchtigsten Straßen der Region.
Die betroffene Strecke, die Nationale 147, verbindet Limoges mit Poitiers. Eine klassische Überlandstraße, kurvig, stark befahren, berüchtigt. Seit Jahrzehnten gilt sie als Unfallhotspot. Die Statistik der Präfektur spricht von einer doppelt so hohen Quote tödlicher Unfälle im Vergleich zum landesweiten Durchschnitt. Wer hier täglich unterwegs ist, braucht keine Tabellen, um das zu bestätigen.
Marie Aurojo, die als Handwerkerin mehrmals täglich auf der N147 fährt, beschreibt ein Gefühl, das viele teilen. Jeder enge Bogen, jeder riskante Überholversuch lässt den Puls steigen. Man weiß, was hier schon passiert ist. Und man weiß, dass es wieder passieren kann.
Die staatlichen Stellen argumentieren entsprechend nüchtern. Sicherheit hat ihren Preis. Und dieser Preis steigt, wenn das Gelände schwierig wird. Denn die neue Trasse führt durch eine schwierige Landschaft. Hügel, Einschnitte, Brücken. Geplant sind mehrere aufwendige Ingenieurbauwerke, darunter ein Viadukt von über 200 Metern Länge. Allein das erklärt einen erheblichen Teil der Kosten.
Doch genau hier setzt die Kritik an.
Nicolas Vigier, Anwohner und Mitglied der Umweltinitiative Alouette, spricht von einem „monumentalen Verschwendungsprojekt“. Ökologisch, ökonomisch, menschlich. Ein Vorhaben aus dem Jahr 1992, wieder hervorgeholt, durchgedrückt, als hätte sich in den vergangenen drei Jahrzehnten nichts verändert. Klimakrise, Artensterben, neue Mobilitätskonzepte – alles ausgeblendet.
Man hört diesen Vorwurf derzeit häufiger in Frankreich. Der Konflikt zwischen klassischem Straßenbau und ökologischer Neuorientierung verläuft quer durch Parteien, Verwaltungen und Dorfgemeinschaften. In der Haute-Vienne wird er nun konkret, sichtbar, laut.
Zumal es Alternativen gegeben hätte.
Sébastien Larcher, Bürgermeister der Nachbargemeinde Couzeix, hält die gewählte Trasse für einen strategischen Fehler. Seiner Ansicht nach hätte eine weiter westlich gelegene Streckenführung durch landwirtschaftlich genutzte Flächen erhebliche Einsparungen ermöglicht. Weniger Höhenunterschiede, weniger Erdbewegungen, weniger Bauten. Kurz: weniger Beton, weniger Geld.
Doch diese Variante setzte sich nicht durch. Warum genau, darüber wird vor Ort noch immer diskutiert. Planungsgeschichte, politische Abwägungen, Grundstücksfragen – ein klassisches Geflecht aus regionaler Interessenpolitik und staatlicher Infrastrukturplanung.
Fest steht: Der juristische Weg ist ausgeschöpft. Mehrere Klagen von Umweltverbänden und Anwohnern wurden abgewiesen. Das zuständige Gericht genehmigte die Arbeiten. Der Bagger rollt. Der Wald weicht.
Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack.
Denn 132 Millionen Euro für 6,5 Kilometer Straße stehen nicht isoliert im Raum. Sie konkurrieren gedanklich mit sanierungsbedürftigen Schulen, mit lückenhaften Bahnverbindungen, mit kommunalen Haushalten, die seit Jahren unter Druck stehen. In ländlichen Regionen wie der Haute-Vienne, die ohnehin mit Abwanderung kämpfen, wird jede große Investition auf die Goldwaage gelegt.
Hinzu kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Die Inflation. Baukosten steigen, Materialpreise schwanken, Verzögerungen kosten Geld. Niemand kann heute garantieren, dass es bei den veranschlagten 132 Millionen bleibt. Auch das nährt die Skepsis.
Und doch wäre es zu einfach, das Projekt allein als Ausdruck verfehlter Politik abzutun.
Straßen sind mehr als Asphalt. Sie strukturieren Räume, ermöglichen Wirtschaft, retten im Zweifel Leben. Wer täglich auf einer gefährlichen Strecke unterwegs ist, sieht die Welt anders als jemand, der sie nur auf der Karte betrachtet. Diese Spannung lässt sich nicht auflösen, sondern nur aushalten.
Vielleicht liegt genau darin der Kern der Debatte. In der Frage, wie viel Sicherheit eine Gesellschaft bereit ist zu bezahlen. Und wie viel Natur sie dafür preisgibt.
In Nieul fällt diese Abwägung sichtbar aus. Baum für Baum. Meter für Meter.
Der Rest ist Politik.
Und ein bisschen Bauchgefühl.
Von C. Hatty
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