Tag & Nacht


Der Kalender zeigt Dezember, doch die Landschaft leuchtet bereits in jenem satten Gelb, das sonst erst Wochen später den Winter vertreibt. In den Pyrénées-Orientales blüht der Mimosa, als hätte er die Jahreszeiten neu sortiert. Wo früher Frostnächte dominierten, stehen heute Produzenten zwischen üppigen Blütenständen und schneiden Zweige, die traditionell erst im Februar den Weg auf die Märkte finden. Der Klimawandel, oft abstrakt diskutiert, zeigt hier ein sehr konkretes Gesicht – und riecht sogar ein wenig nach Honig.

Noch bevor die Weihnachtsfeiertage so recht begonnen haben, beginnt für manche Betriebe bereits die Hochsaison. Die Pflanzen treiben mehrere Wochen zu früh aus, eine Folge milder Winter, anhaltender Trockenperioden und eines Temperaturanstiegs, der sich längst im Rhythmus der Vegetation niederschlägt. Wer durch die Hügel rund um Céret geht, sieht Erzeuger bei der Arbeit, die den perfekten Zweig suchen, mit geübtem Blick und schnellen Händen. Es ist eine Ernte, die überrascht, aber nicht mehr schockiert. Zu oft hat sich das Wetter in den vergangenen Jahren ähnlich verhalten.

Die Erfahrung der Produzenten spricht eine klare Sprache. Nach Monaten der Trockenheit hat der späte Regen den Pflanzen gutgetan, sie wirken kräftiger, die Blüten dichter. Der Mimosa, der unter Wassermangel sichtbar gelitten hatte, hat sich erholt. Die Ernte setzt plötzlich ein, fast explosionsartig. Alles kommt auf einmal. Für die Betriebe bedeutet das Stress, aber auch Hoffnung. Denn eine frühe Ernte muss nicht zwangsläufig eine schlechte sein, im Gegenteil. Die Qualität überzeugt, die Farbe ist intensiv, der Duft voll.

An der Küste, in Orten wie Banyuls-sur-Mer, bleibt das nicht unbemerkt. Auf den Märkten greifen Kundinnen und Kunden zu, schmunzeln, schütteln den Kopf. Mimosa vor Weihnachten? Warum nicht. Die gelben Kugeln bringen Farbe in graue Tage, ein kleiner Trost in einem Winter, der keiner mehr ist. Für viele hat diese Blume etwas Feierliches, beinahe Versöhnliches. Man nimmt sie mit, ohne lange nachzudenken. Sie passt einfach.



Doch hinter der spontanen Freude steckt eine tiefere Verschiebung. Der frühe Blühbeginn ist kein Einzelfall, sondern Teil einer Entwicklung, die sich Jahr für Jahr verfestigt. Der Klimawandel verändert nicht nur Erntezeiten, sondern auch Arbeitsabläufe, Absatzmärkte und langfristige Planungen. Wer früher schneiden muss, braucht früher Personal, früher Abnehmer, früher Logistik. Alles rückt nach vorne, während der Kalender unverändert bleibt. Das bringt Unruhe in eine Branche, die traditionell stark von saisonalen Zyklen lebt.

In Thuir wagt sich erstmals eine junge Produzentin an die Mimosenernte. Für sie ist es Neuland, körperlich anstrengend, lernintensiv. Die Pflanzen gehören zur Familie, das Wissen ebenso. Generationen haben hier gearbeitet, Handgriffe weitergegeben, Erfahrungswerte gesammelt. Nun müssen diese Traditionen angepasst werden. Die Ernte zieht sich über Wochen, verlangt Kraft und Geduld. Manchmal fragt man sich zwischendurch schon, wer hier eigentlich das Tempo vorgibt – der Mensch oder die Natur.

Der Mimosa, ursprünglich aus Australien stammend, hat im Süden Frankreichs seit dem 19. Jahrhundert eine zweite Heimat gefunden. Besonders im Vallespir, jener hügeligen Region im Hinterland, gehört er zum Landschaftsbild wie Olivenbäume und Weinreben. Zwischen zehn und zwanzig Tonnen werden hier jährlich geerntet, ein Wirtschaftsfaktor, aber auch ein kulturelles Symbol. Wenn sich diese Zahlen verschieben, ist das mehr als eine statistische Randnotiz. Es betrifft Existenzen.

Was auffällt, ist die Ambivalenz der Situation. Einerseits profitieren die Produzenten kurzfristig von einer frühen Nachfrage und guter Qualität. Andererseits wächst die Sorge, dass sich die Pflanzen langfristig erschöpfen. Blühen sie zu früh, riskieren sie Schäden durch späte Kälteeinbrüche. Bleibt der Regen aus, leidet die nächste Saison. Der Mimosa verzeiht viel, aber nicht alles. Die Natur, so scheint es, räumt keinen unbegrenzten Kredit ein.

Im Gespräch hört man deshalb weniger Alarmismus als nüchterne Beobachtung. Man weiß, dass sich etwas verändert hat. Man passt sich an, so gut es geht. Bewässerung wird optimiert, Schnittzeiten neu berechnet, Sorten getestet. Gleichzeitig schwingt eine gewisse Ratlosigkeit mit. Denn so richtig planen lässt sich das alles nicht. Der Klimawandel hält sich nicht an Betriebsabläufe.

Für die Konsumenten bleibt vorerst das schöne Bild. Gelbe Blüten im Dezember, ein Hauch von Frühling im Winter. Doch wer genauer hinsieht, erkennt darin ein Signal. Der Mimosa erzählt eine Geschichte von Verschiebung und Anpassung, von Widerstandskraft und Verwundbarkeit. Er blüht, weil er es kann – noch. Und vielleicht ist genau das die leise Mahnung, die zwischen den Zweigen mitschwingt.

Autor: C.H.

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