Tag & Nacht


Die Natur hat wieder einmal gezeigt, wie wenig sie sich um menschliche Pläne schert.

Am Montag, dem 30. Juni, verwandelten sich die Alpen an der Grenze zwischen Frankreich und Italien in ein dramatisches Szenario: Orkanartige Gewitter, reißende Bäche und zerstörerische Schlammlawinen legten alles lahm, was Menschenhand gebaut hat.

Die Maurienne im Ausnahmezustand

In der Savoie bot sich ein Bild, das viele Bewohnerinnen und Bewohner so noch nie gesehen hatten.

Die Maurienne, eine langgezogene Talregion, war vom Unwetter besonders hart getroffen. In Modane und Fourneaux trat der sonst eher unscheinbare Torrent du Charmaix über die Ufer. Meterhoch aufgeschäumtes Wasser und braune Schlammmassen bahnten sich ihren Weg durch Straßen und Höfe, drangen in Keller und in die örtliche Schule ein. In manchen Bereichen stand das Wasser bis zu 50 Zentimeter hoch – eine unheimliche Vorstellung, wenn man sich vor Augen führt, wie plötzlich solche Wassermassen hereinbrechen.

Die Präfektur sprach von der „schwersten Flut seit 70 Jahren“. Ein Satz, der hängen bleibt – denn wer in dieser Region lebt, kennt so manche Überschwemmung. Feuerwehrkräfte brachten rund fünfzehn Menschen in Sicherheit, unter anderem in den Gemeindesaal, der kurzfristig zum Notquartier umfunktioniert wurde.

Paris – Mailand: Verbindungen gekappt

Auch für Reisende hatte dieses Naturchaos gravierende Folgen.

Seit Montagnachmittag, 17 Uhr, steht der Zugverkehr zwischen Paris und Mailand still. An der Gare de Modane, dem letzten Halt vor der italienischen Grenze, lagen die Gleise unter meterdicken Schlammlawinen und Geröll. Ein Anblick, der nicht nur Zugführer:innen und Gleisarbeiter fassungslos machte.

Die SNCF sprach von einer Sperrung „mindestens für mehrere Tage“. Erst wenn die Schlammmassen entfernt und die Stabilität der Gleise geprüft seien, könne der Verkehr wieder anlaufen. Auch die Regionalzüge (TER) sind betroffen und müssen in Saint-Michel-Valloire enden – ein Nadelöhr für alle, die zwischen Frankreich und Italien pendeln.

Tod in Bardonnèche: Schlammlawine reißt Mann mit

Jenseits der Grenze, in Italien, nahm das Unwetter ein tödliches Ende.

In Bardonnèche, einer kleinen alpinen Grenzstadt direkt hinter dem Fréjus-Tunnel, donnerte eine gewaltige Schlammlawine durch die Straßen. Ein 70-jähriger Mann wurde dabei von den Fluten mitgerissen und starb. Der örtliche Fluss, der ebenfalls Fréjus heißt, verwandelte sich binnen Minuten in einen tosenden, unkontrollierbaren Strom, der Autos wegdrückte und Straßen unpassierbar machte.

Ein ganzes Stadtviertel ist derzeit von der Außenwelt abgeschnitten. Die Behörden hatten bereits zuvor dringend geraten, zuhause zu bleiben – doch gegen die Urgewalt solcher Lawinen hilft manchmal auch kein guter Rat mehr.

Hitzewelle als Brandbeschleuniger des Unwetters

Wer sich fragt, warum solche Gewitter plötzlich so gewaltig werden, findet die Antwort in den Temperaturen der letzten Tage.

Denn vor dem Gewitter hatte eine massive Hitzewelle Südeuropa im Griff. Italien hatte landesweit Alarmstufe Rot ausgerufen: Von Mailand bis Rom, von Bologna bis Florenz ächzen die Menschen unter drückender Hitze. In Bologna richteten die Behörden „Klima-Schutzräume“ für Schwangere, Senioren und andere gefährdete Gruppen ein. In Ancône verteilte man sogar Luftentfeuchter, um wenigstens die stickige Feuchtigkeit in den Wohnungen zu lindern.

Und so wurde diese Hitze mit ihrer feucht-schwülen Luft zu einer Art Treibstoff für die Gewitterwolken, die sich über den Alpen stauten, abregneten und schließlich alles überfluteten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Wenn die Alpen weinen

Diese Flutkatastrophe zeigt schonungslos, wie verletzlich die Alpen sind.

Immer häufiger reißen Unwetter ganze Straßen weg, verschütten Bahnstrecken und reißen Häuser mit. Klimaforscher schlagen seit Jahren Alarm, weil der Temperaturanstieg in den Gebirgsregionen besonders drastisch ausfällt. Die Folgen? Auftauende Permafrostböden, instabile Hänge, unvorhersehbare Wassermassen.

Vielleicht sollte man sich in diesen Tagen nicht nur fragen, wie schnell Züge zwischen Paris und Mailand wieder fahren – sondern auch: Wie viele solcher Warnschüsse braucht es noch, bis wir unsere Bauweisen, Warnsysteme und unseren Lebensstil konsequent an diese neuen Realitäten anpassen?

Die Stille nach dem Sturm

Für Modane, Bardonnèche und alle weiteren betroffenen Orte heißt es nun aufräumen, reparieren und hoffen, dass der nächste Gewitterguss nicht schon wieder neue Wunden reißt.

Doch wer einmal erlebt hat, wie eine braune Schlammlawine an der Haustür rüttelt, der wird die Stille nach dem Sturm nie wieder als selbstverständlich empfinden.

Autor: Andreas M. Brucker

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