Tag & Nacht




Plastik in den Ozeanen – das klingt nach einer entfernten, abstrakten Bedrohung. Doch für viele Menschen, die an Frankreichs Küsten leben, ist es eine alltägliche Realität. Zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle landen jedes Jahr in den Meeren. Sie verheddern sich in Algen, stranden an Küsten und werden von Vögeln und Fischen verschluckt.
Aber ausgerechnet einfache Holzgestelle an den Stränden – die sogenannten bacs à marée – bringen eine neue Dynamik in den Kampf gegen diese Krise.

Ein Holzkasten mit großer Wirkung

Auf den ersten Blick sehen sie unspektakulär aus: große Holzkisten, die am Eingang der Strände stehen. Doch ihr Zweck ist ungewöhnlich. Spaziergängerinnen und Spaziergänger können dort die Abfälle ablegen, die sie während ihres Gangs am Meer aufsammeln – Plastikflaschen, alte Fischernetze, Seile, Schuhe, manchmal sogar größere Wrackteile.
Diese Kisten sind keine normalen Mülleimer. Sie sind Sammelstellen für das, was die Gezeiten anspülen. Hinweisschilder erklären, wie sie genutzt werden sollen und warum sie wichtig sind. Das macht sie zu einem Werkzeug mit doppelter Wirkung: Reinigung und Aufklärung.


Gemeinschaftsprojekt statt Einzellösung

Seit 2025 fördert der Parc naturel marin de l’estuaire de la Gironde et de la mer des Pertuis die Einrichtung dieser Sammelstellen systematisch. Gemeinden an der Küste können sich beteiligen, Bacs aufstellen, Daten über die Abfälle sammeln und so Teil eines größeren Netzwerks werden.
Das Ziel ist ehrgeizig: nicht nur Müll wegräumen, sondern auch besser verstehen, woher er kommt und wie man ihn an der Quelle stoppen könnte.

Einige Kommunen, wie Bois-Plage-en-Ré, haben die Idee bereits fest in ihre lokale Umweltpolitik integriert. Dort zeigt sich, dass die Wintermonate besonders wichtig sind – wenn Stürme tonnenweise Abfälle an die Küste spülen. Im Sommer hingegen, wenn Touristinnen und Touristen massenhaft die Strände bevölkern, werden manche Bacs abgebaut. So verhindert man, dass sie versehentlich als normale Müllcontainer genutzt werden.


Zahlen, die aufrütteln

Ein Beispiel aus Saint-Palais-sur-Mer macht deutlich, wie groß das Problem ist – und wie hilfreich die Bacs sein können. Sieben solcher Kisten standen dort ein halbes Jahr lang am Strand. Das Ergebnis: über zwei Tonnen eingesammelter Abfälle.
Man kann diese Zahl auf zwei Arten lesen: als Beweis für die katastrophale Vermüllung der Ozeane oder als Zeichen dafür, dass Menschen bereit sind, aktiv mitanzupacken.

Auch in La Rochelle arbeitet die Organisation TEO mit den Bacs. Sie sammelt nicht nur Müll, sondern auch Daten. Welche Arten von Plastik werden am häufigsten gefunden? Woher stammen die Fischernetze? Solche Informationen sind Gold wert, wenn es darum geht, Strategien gegen die Verschmutzung zu entwickeln.


Bürgerengagement, das Wellen schlägt

Die Stärke dieser Initiative liegt darin, dass sie Bürgerinnen und Bürger direkt einbindet. Kein kompliziertes Antragsformular, kein Eintritt in eine Organisation nötig. Wer spazieren geht, hebt etwas auf und wirft es in die Kiste – fertig.
So wird Müllsammeln fast beiläufig zur Gewohnheit, und genau darin steckt die große Wirkung. Aus einem Strandspaziergang wird ein kleiner Akt des Umweltschutzes. Aus vielen kleinen Akten entsteht eine Bewegung.

Natürlich ersetzt das Sammeln am Strand nicht die Notwendigkeit, weniger Plastik zu produzieren, Recycling konsequenter umzusetzen und strengere Regeln für die Fischerei einzuführen. Aber es schafft ein Bewusstsein, das oft viel nachhaltiger wirkt als ein Vortrag im Klassenzimmer.


Von der Küste in die Köpfe

Das Schöne an den Bacs à marée ist ihre Einfachheit. Sie brauchen keine Hightech, keine komplizierte Verwaltung. Sie zeigen: Der Kampf gegen die Verschmutzung der Ozeane ist keine ferne Aufgabe für Wissenschaftler:innen oder Politiker:innen allein. Er fängt bei den Menschen an, die am Strand spazieren gehen.
Und vielleicht ist es genau dieser Gedanke, der den Unterschied macht. Dass ein Netz voller Plastikflaschen, das man aus dem Sand zieht, nicht nur Müll ist – sondern ein Symbol dafür, dass jeder Handgriff zählt.


Zukunftsperspektive

Wenn mehr Gemeinden diese Sammelstellen aufstellen, könnte Frankreich ein dichtes Netz von Bacs à marée entlang seiner Küsten schaffen. Das würde nicht nur für saubere Strände sorgen, sondern auch für eine der größten Bürgerwissenschafts-Initiativen des Landes. Daten, die bislang nur verstreut oder gar nicht erhoben wurden, könnten systematisch gesammelt werden – eine Schatztruhe für Forschung und Politik.

Die eigentliche Frage ist also: Warum nicht an jedem Strand?

Denn was mit einer Holzkiste beginnt, könnte sich zu einer Bewegung entwickeln, die ganze Küstenabschnitte verändert – und vielleicht sogar das Verhältnis der Menschen zu ihrem Meer.

Autor: C.H.

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!