Ein Schriftsteller, der fünf Jahre Gefängnis für seine Worte bekommt. Eine Regierung, die sich durch Bücher bedroht fühlt. Und ein französischer Präsident, der dem Autor persönlich die Hand schüttelt. Die Geschichte von Boualem Sansal ist nicht nur ein politisches Drama – sie ist ein Brennglas für die Macht der Literatur.
Der Mann, der nicht schwieg
Boualem Sansal – geboren 1949 in Theniet El Had, Algerien – hätte einen geradlinigen Weg gehen können. Hochintelligent, promovierter Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler, Ministerialbeamter. Ein Mann des Systems.
Doch die algerische Realität, zerrissen zwischen Bürgerkrieg, staatlicher Repression und dem Aufstieg des Islamismus, ließ ihn nicht ruhig bleiben. Mit fünfzig Jahren begann er zu schreiben. Und hörte nicht mehr auf.
Was aus ihm wurde? Eine der wichtigsten literarischen Stimmen der frankophonen Welt. Und ein unbequemes Gewissen für sein Herkunftsland.
Worte, die zu viel sagen
Sansals Romane sind scharf. Präzise. Gefährlich – zumindest aus Sicht derer, die sich von ihnen entlarvt sehen.
Ob in Der Deutsche Freund, wo er die NS-Vergangenheit eines algerischen Kämpfers mit islamistischem Fanatismus verwebt. Oder in 2084: Das Ende der Welt, seiner dystopischen Vision einer totalitären Theokratie.
Er schreibt gegen das Vergessen, gegen religiösen Wahn, gegen die Doppelmoral in Gesellschaft und Politik. In Frankreich gefeiert, in Algerien zensiert. Seine Bücher wurden dort verboten, seine Person überwacht. Aber er schrieb weiter.
Eine Verhaftung – ein politisches Signal
Im November 2024, bei seiner Einreise in Algier, wurde Sansal festgenommen. Der Vorwurf: „Angriff auf die nationale Einheit“ und „Gefährdung der territorialen Integrität“.
Im Klartext: Seine Gedanken passten nicht zur Linie der Regierung.
Im März 2025 folgte das Urteil – fünf Jahre Gefängnis. Für das, was er geschrieben hatte. Für das, was er gedacht hatte.
Die Empörung war international. Literat:innen, Menschenrechtsorganisationen, Politiker schlugen Alarm. Denn Sansals Gesundheitszustand war kritisch – Krebs, fortgeschritten. Die Haft drohte sein Todesurteil zu werden.
Ein diplomatischer Befreiungsschlag
Am 12. November 2025 kam die Wende: Der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune gewährte eine „humanitäre Begnadigung“. Auf Initiative des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier – ein bemerkenswerter diplomatischer Schachzug.
Sansal reiste nach Deutschland, zur Behandlung. Sechs Tage später kehrte er nach Frankreich zurück.
Und dann das Bild, das um die Welt ging: Boualem Sansal, im Anzug, im Élysée-Palast – neben Emmanuel Macron.
Ein Empfang, der Bände spricht
Der Präsident sprach von „Mut, Würde und moralischer Kraft“. Die Geste war klar: Frankreich stellt sich schützend vor einen seiner Schriftsteller. Und sendet eine Botschaft Richtung Algier – höflich, aber unmissverständlich.
Doch zwischen den Zeilen steckt mehr.
Die Beziehung zwischen Frankreich und Algerien ist seit Jahren angespannt – zwischen kolonialer Vergangenheit, wirtschaftlichen Interessen und politischen Grabenkämpfen. Sansal war da plötzlich mehr als ein Autor. Er war ein Symbol.
Für freie Meinungsäußerung.
Für kulturelle Selbstbestimmung.
Für die Kraft des Wortes in autoritären Zeiten.
Und was bleibt?
Sansal ist zurück, ja. Körperlich gezeichnet, emotional erschöpft – aber nicht gebrochen.
Ob er wieder schreibt? Wahrscheinlich. Aber die Erfahrung der Haft, die Repression, die Einschüchterung – all das hinterlässt Spuren.
Und doch bleibt sein Fall ein Lichtstrahl. Denn er zeigt, wie sehr Literatur bewegen kann. Wie gefährlich ein Gedanke sein kann, wenn er auf Papier geschrieben wird. Und wie wichtig es ist, dass Demokratien ihre Künstler:innen schützen – nicht aus politischem Kalkül, sondern aus Überzeugung.
Denn wer das Schweigen diktiert, fürchtet die Stimme.
Und Boualem Sansals Stimme hallt weiter.
Autor: C.H.
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